Die Wahrheit stirbt zuletzt
prustend.
Sie gehen einen schmalen Pfad hinauf, von wo aus sie die Luftabwehrbatterien oben auf den Hügeln auf der anderen Seite der ruhigen Bucht sehen können, die den natürlichen Hafen von Cartagena bildet. Vier graue Kriegsschiffe liegen im Hafen vor Anker. Sie sind mit Suchscheinwerfern ausgestattet. Das Klima ist hier deutlich milder als im Landesinneren, auch wenn dunkle Wolken am Horizont einen Wetterumschwung und Regen vom Meer her ankündigen. In den Bergen im Norden ist längst der erste Schnee gefallen. Vielleicht befindet Mads sich jetzt dort, und wie mag es ihm wohl gehen? Der Gedanke ist unerträglich, und Magnus versucht, ihn zu verdrängen.
In den Felsen unter ihnen befindet sich der Schutzraum, in dem sie gestern Abend Zuflucht gesucht haben. Mercer ist ziemlich außer Atem, als sie auf dem Gipfel ankommen, von wo aus sie einen Ausblick über den Hafen und das Meer und auf eine gelbe Kirche haben, die an ihrem nördlichen Ende halb eingestürzt ist. Es sieht beinahe so aus, als lehnte sie sich an den »Empfängnis«-Berg. Im Dach des viereckigen Kirchturmes ist ein Loch. Der Turm erinnert eher an den Befestigungsturm einer mittelalterlichen Burg. Große schwarze Krähen fliegen kreischend um das Loch herum. Wie in anderen Teilen des republikanischen Territoriums ist die Kirche nicht mehr in Gebrauch. Sie sieht aus, als stünde sie schon seit vielen hundert Jahren in Cartagena und sei vielleicht sogar die erste Kathedrale der Stadt gewesen.
Um die gelbe Kirche herum liegen kleine, niedrige Häuser. Magnus sieht, wie eine Frau in einem Zuber ihre Wäsche schrubbt. Zwischendurch klopft sie mit einem dicken Stock darauf. Sie hat noch immer einen kräftigen Hintern, aber ihre Kleidung wirkt ansonsten viel zu weit, so als habe sie schon lange nicht mehr genug zu essen bekommen. Ein Mann mit einem flachen Gesicht undeinem dunklen Schnurrbart sitzt schweigend da und betrachtet die waschende Frau, während er an einer kleinen Pfeife zieht.
Unten im Hafengebiet ist eine Gruppe Männer dabei, ein sowjetisches Frachtschiff zu entladen. Sie werden von acht Männern der Guardia Asaltos überwacht, die mit ihren Waffen in einigen Meter Entfernung um sie herumstehen. Ein großer Kran hebt langsam einen Panzer über die Reling und setzt ihn auf dem Kai ab. Die kleineren Kisten werden von Hafenarbeitern weggetragen, die größeren auf Anhänger mit großen Holzrädern geladen, die von Maultieren gezogen werden. Es kommt Magnus so vor, als könne er hören, wie die Peitsche auf ihrem sehnigen schwarzen Rücken schnalzt, bevor der Wagen sich in Bewegung setzt. Ein Offizier des stehenden republikanischen Heeres überwacht die ganze Operation.
Magnus und Joe entdecken ihre Kontaktperson gleichzeitig.
Ein Stück von ihnen entfernt lehnt ein Mann an einem schmalen Geländer. Er ist groß und mager und trägt eine khakifarbene Uniform, die aussieht wie selbstgemacht, aber an seiner rechten Hüfte hängt eine Pistole in einem geschlossenen Holster und über seiner Brust ein Schulterriemen. Er trägt Stiefel mit langem Schaft, die in der Sonne schwarz glänzen. Sein Gesicht ist blatternarbig, aber ansonsten durchaus ansprechend mit einer geraden Nase, einer hohen Stirn unter dunklem, welligem Haar und mit markanten Wangenknochen. Er strahlt eine Mischung aus iberischer Oberklasse und lauernder Brutalität aus. Magnus ist froh, seinen Revolver zu spüren, den er sich am Rücken in den Hosenbund gesteckt hat. Irribarnes Alter ist schwer zu schätzen, aber Magnus vermutet, dass er etwa Mitte dreißig ist. Er wirkt gut trainiert und bewegt sich federnd wie ein Boxer, als er mit ausgestreckter Hand auf sie zukommt.
Mercer hat erzählt, dass ihr Kontaktmann seine kriminelle Laufbahn begonnen habe, als er dreizehn Jahre alt war. Seinen ersten Mord habe er mit fünfzehn begangen, und die Kontrolle über die »Familie« habe er übernommen, als er Anfang zwanzig war und das bisherige Oberhaupt bei einem Territorialkrieg mit einer Gruppe ermordet wurde, die aus Valencia gekommen war, um sich ihren Anteil am Schutzgeldgeschäft in Cartagena zu sichern. »Ramon ist ein tough cookie«, hat Joe mehrfach betont. Magnus glaubt es ihm aufs Wort, als er zum ersten Mal in Ramons grüne Eisaugen blickt.
Er überlegt, wo Irribarnes Bodyguard steckt. Er dürfte kaum der Typ Mann sein, der allein kommt, auch wenn er vermutlich diesen Berg als Treffpunkt gewählt hat, damit keiner von ihnen zusätzliche Männer verstecken kann. Sie sind
Weitere Kostenlose Bücher