Die Wahrheit stirbt zuletzt
einem Ameisenhaufen, in dem jemand mit einem großen Stock herumgestochert hat. Zwei Männer wollen ihn aufhalten. In dem Lärm versteht er nicht, was sie sagen. Sie sehen ängstlich und bedrohlich zugleich aus und strecken die Hände nach ihm oder seiner Tasche aus. Er zieht seine Pistole hervor und fuchtelt damit herum, und sie machen ihm Platz. Er weiß nicht einmal, ob sie ihm überhaupt etwas Böses wollten, aber er geht lieber kein Risiko ein. Über sich hört er Flugzeuge und schaut nach oben.
Die Granaten der Luftabwehr explodieren am Himmel über ihm, aber zwei schwarz angestrichene Maschinen fliegen unbeschadet über die grauweißen Explosionswolken hinweg und werfen ihre Fracht ab. Es sind viele aluminiumfarbene Kapseln, die wie kleine, lebendige Wesen in Richtung Erde wirbeln und zu Feuerbällen werden, wenn sie explodieren. Die Panik und die Verzweiflung nehmen zu, als der weiße Phosphor an der Kleidung und der Haut der Menschen haften bleibt und dann in Flammen aufgeht. Ein schwarzes Maultier, das mit einem Bündel Zweige beladen ist, hat Feuer gefangen und läuft schreiend davon. Sein Besitzer, ein älterer Mann, dessen Kleidung lichterloh brennt, wird dabei über den Bodengeschleift. Magnus hat so etwas noch nie gesehen. Er hat nicht damit gerechnet, den Feuersturm des Jüngsten Gerichts auf Albacetes armseligen Straßen mitzuerleben.
Endlich verschwinden die deutschen Maschinen in Richtung Steppe und hinterlassen eine Spur des Todes, die sich quer durch die Stadt zieht, wo Feuerwehrleute, Sanitäter und Freiwillige von den Internationalen Brigaden verzweifelt versuchen, der Katastrophe Herr zu werden. Die Männer von der Guardia Asaltos und Polizisten sind bemüht, eine gewisse Ordnung wiederherzustellen. Gewehrsalven ertönen. Vermutlich erschießen sie die Leute, die das allgemeine Chaos für Plündereien ausnutzen wollten. Magnus tastet nach seinem Revolver und umschließt ihn in seiner Jackentasche mit der Hand.
Eine Frau, deren Gesicht aussieht wie eine blutige Maske, streckt ihre Hand nach ihm aus, und er schreckt vor ihr zurück, als wäre sie der Teufel persönlich. Sie sagt etwas, aber er kann das Spanisch nicht verstehen, das aus ihrem zerschmetterten Mund kommt. Mit schlechtem Gewissen macht er einen Bogen um die verwirrte, verwundete Frau, bleibt dann aber stehen und geht zu ihr zurück. Er hakt sie unter und begleitet sie bis zu einer Straßenecke, an der er mehrere Bahren, einen Mann im weißen Kittel und zwei Frauen in blauer Schwesterntracht stehen sieht.
Er versteht kein Wort von dem, was die verwundete Frau sagt. Als er sie vorsichtig auf den Boden setzt, will sie seinen Arm nicht loslassen, und so ist er gezwungen, ihre mageren Finger anzufassen und einen nach dem anderen von seinem Arm zu lösen. Es ist kalt, trotzdem schwitzt er. Er zupft eine der Krankenschwestern am Ärmel. Ihr Gesicht ist weiß und verängstigt, eine ihrer Wangen blutverschmiert. Sie sieht ihn ungehalten an. Er deutet auf die Frau mit dem zertrümmerten Gesicht, und die Krankenschwester nickt mit gehetztem Blick. Er geht schnell weiter.
Der Luftangriff hat insgesamt nur zwölf Minuten gedauert, aber als Magnus sich in einem Bogen zurück in Richtung Plaza Altozano und Gran Hotel bewegt, ist er wütend und empört über die Zerstörungen und die vielen Brände, über die Toten und Verwundeten.
Eigentlich mochte man meinen, Gott hätte Albacete für immer verlassen und die Menschen müssten ihm zürnen. Doch zu seinem Erstaunen sieht Magnus viele auf den Straßen beten. Offiziell gibt es in der Stadt keine Priester mehr, und die Kirchen sind geschlossen oder abgebrannt worden. Aber die Leute müssen Rosenkränze und Kruzifixe in ihren Schubladen versteckt haben, denn jetzt knien sie allein oder in kleinen Gruppen nieder und beten mit geschlossenen Augen vor den zerstörten Wohnhäusern. Andere sind bereits dabei, in den Ruinen nach Angehörigen zu suchen. Sie schieben die Ziegelsteine mit bloßen Händen beiseite.
Die Männer der Guardia Asaltos und andere uniformierte Beamte patrouillieren jetzt wieder gemessener durch die Stadt. Die offiziellen Bergungstruppen sind ebenfalls im Einsatz. Das Löschen der Brände wird jedoch dadurch erschwert, dass eine der Hauptwasserleitungen von einer Bombe getroffen worden sein muss. Überall riecht es nach Rauch, Urin und Kot und nach verbranntem Fleisch. Über das Knistern der Flammen hinweg hört er die Sirenen, die signalisieren, dass der Bombenangriff
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