Die Wahrheit stirbt zuletzt
wenige Kilometer südlich von Albacete Jagdflugzeuge stationiert sind. Vermutlich hat man die meisten von ihnen nach Aragoniengeschickt, um die Offensive bei Teruel zu unterstützen.
Magnus beginnt aus Angst um sich selbst und um Irina zu rennen. Als die ersten Bomben vor ihm explodieren und die Welt in einer Wolke aus Rauch, Staub und Munitionsgasen verschwindet, die in der Kehle brennen, und er sich in einer Lärmhölle befindet, der das menschliche Ohr kaum standzuhalten vermag, bereut er zutiefst, Irina allein im Hotel zurückgelassen zu haben. Eine schwefelgelbe, stinkende Rauchsäule erhebt sich über der Stadt. Die Erde bebt unter seinen Füßen, und er fällt in den Staub. Wenige Meter vor ihm platzt ein Wasserrohr, und ein Wasserstrahl schießt hoch in die Luft. Ein Mann, der beide Beine verloren hat, liegt vor der Wand eines Hauses, dessen Dach eingestürzt ist, während sein Maultier, das mit Gerätschaften aus einem der kleinen Handwerksbetriebe beladen ist, mit halb aus dem Bauch heraushängenden Gedärmen neben ihm liegt.
Magnus richtet sich langsam auf. Es dröhnt in seinen Ohren, und er hat Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Er hustet stark wegen des Staubs und des Rauchs von einem der brennenden Gebäude weiter unten in der Straße. Er sieht mehrere Leichen und hört die verzweifelten Hilfeschreie der Verletzten, als etwas weiter weg die nächste Bombe explodiert.
Er wirft sich hinter einem Haufen Ziegelsteine zu Boden und spürt die Druckwelle über seinem Kopf. Hoffentlich hat Irina im Luftschutzraum unter der Plaza Altozano Zuflucht gesucht, aber viel wahrscheinlicher ist, dass sie, mit ihrer Kamera bewaffnet, auf dem Weg durch die zerstörte Stadt ist. Er ist so krank vor Sorge um sie, dass die Angst um sein eigenes Leben vollkommen dahinter zurücktritt. Die früheren Bombardierungen von Albacete waren Kinderkram im Vergleich zu diesem Angriff, bei dem er über den Bombenlärm hinweg das beständigeBrummen der vielen Flugzeuge am Himmel über der Stadt hören kann.
Er steht wieder auf. In all dem Rauch und Staub kann er fast nichts sehen. Die Leute irren ziellos umher, ihr Blick ist leer vom Granatenschock. Eine Mutter und ihre zwei kleinen Kinder, die sie noch zu beschützen versucht hat, liegen tot vor ihm. Ein paar Schritte weiter liegt sein Schwarzmarkthändler. Sein Kopf ist nur noch eine blutige Masse. Sein Bauchladen mit den Messern ist von der Druckwelle in seinen Brustkorb gepresst worden, und Magnus spürt eine heftige Übelkeit in sich aufsteigen.
Er hört die Luftschutzsirenen und jetzt auch die ersten Löschfahrzeuge der Feuerwehr. Er orientiert sich vorsichtig, tastet nach seinem Revolver, der sich noch immer in seiner Jackentasche befindet, steigt über eine weitere Frauenleiche hinweg, fängt an zu laufen und gelangt aus dem Rauch hinaus, den der Wind von ihm wegtreibt.
Er hört mehrere Bomben explodieren, diesmal weiter weg, in der Nähe des Bahnhofs oder vielleicht auch bei der Kaserne der Zivilgarde. Der Weg vor ihm ist von einer zum Teil in sich zusammengestürzten Häuserzeile versperrt, sodass er gezwungen ist, in eine andere kleine Gasse einzubiegen. Auf wundersame Weise kommen aus den zerstörten Gebäuden immer noch Menschen. Sie halten sich ihre verletzten Arme, humpeln auf zerfetzten Beinen oder versuchen, sich das Blut von ihren zerschmetterten Gesichtern abzuwischen. Einige von ihnen wirken äußerlich unversehrt, sehen aber verstört aus. Anderen rinnt Blut aus den Ohren. Alle sind mit Staub bedeckt, was sie wie Gespenster aus dem Totenreich aussehen lässt. Ein Vater trägt seinen kleinen Sohn auf dem Arm. Der Kopf des Jungen schlenkert haltlos hin und her, aber der Vater scheint es gar nicht zu bemerken. Er geht wie in Trance durch die Staubwolken.
Magnus kennt die Gasse nicht, durch die er gerade geht,und stolpert beinahe über einen toten Hund, der neben einem alten Mann mit offenen, erstaunten Augen und ohne Unterkörper liegt.
Etwas weiter vorn gelangt er zu einer Allee, die er kennt. Der Lärm der Explosionen nimmt wieder zu und lässt die Erde beben, und viele Menschen suchen ebenso wie er das Weite, aber wo sollen sie hin? Vielleicht in den nächstgelegenen Luftschutzraum, aber es gibt viel zu wenige davon, und wo befinden sie sich eigentlich? Er weiß es nicht. Er hat sich nie darum gekümmert. Außerdem will er zurück ins Hotel und zu Irina.
Er hat den Rauch hinter sich gelassen. Die Menschen rennen vor und zurück wie verwirrte Ameisen in
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