Die Wahrheit stirbt zuletzt
mich an alles, als wäre es gestern gewesen, und ich fange immer noch beinahe an zu weinen, wenn ich an die Zeit zurückdenke, auch wenn Weinen weder die Welt verändert noch eine schlagkräftige Waffe im Kampf für die Gerechtigkeit ist, den wir ausgetragen haben, als wir jung waren und die Welt noch neu und voller Möglichkeiten war.
Bertil Johansson, Kiruna, den 10. Juni 1958
Bertils Erzählung über Mads Meyer
D er Wind war eiskalt. Er kam aus nördlicher Richtung und trieb harte Graupelkörner heran, als wir zu einem Auftrag aufbrachen, der von vornherein selbstmörderisch wirkte, aber es war genau die Art Aufgabe, für die wir »Especiales« ausgebildet worden waren.
Der dänische Politkommissar Pandrup hatte uns losgeschickt. Die Brigaden sollten eigentlich nicht in die bevorstehende Großoffensive gegen Teruel involviert werden, aber auf die Unterstützung von uns Partisanen war man wie üblich trotzdem angewiesen.
Pandrup und der Russe Stepanowitsch waren die Politkommissare der Spezialeinheit. Dass man uns einen Russen zugeteilt hatte, zeigte, wie wichtig wir waren. Pandrup führte in der Regel das Wort, während Stepanowitsch, der ein merkwürdiger Kerl war, sich im Hintergrund hielt.
Teruel war eine ziemlich trostlose und arme Provinzhauptstadt in Aragonien, aber die Republik würde die Faschisten jetzt von dort vertreiben, die aragonische Front durchbrechen und so zugleich den Druck auf Madrid verringern. Das reorganisierte republikanische Heer sollte Teruel mithilfe von neuen russischen Waffen zur ersten Provinzhauptstadt machen, die von der Republik erobert wurde, während die Internationalen Brigaden als Reserve zurückbehalten wurden. Einige von uns glaubten, andere hofften, dass eine erfolgreiche Offensive Verhandlungen über einen Waffenstillstand ermöglichen würde.
Ich weiß nicht, woher sie diese Hoffnung nahmen.
Pandrup hielt die übliche Sonntagspredigt über internationale Solidarität und über den gerechten Kampf fürDemokratie und Sozialismus, aber in Wahrheit wirkte er, als glaube er selbst nicht mehr daran. Er betonte vor allem, welch strategische Bedeutung es habe, wenn es uns gelinge, den Auftrag erfolgreich auszuführen. Wir sollten uns hinter die faschistischen Linien begeben und einen Eisenbahntunnel in die Luft sprengen, sodass Franco keine Verstärkung mehr aus dem Norden heranholen konnte.
Die Spione der Republik berichteten, dass ein großer Teil der nationalistischen Truppen in der Nähe von Saragossa aufmarschiert sei. Uns blieben nur noch wenige Tage. Das Datum für den Beginn der Offensive war natürlich ein großes Geheimnis, aber wir konnten uns leicht ausrechnen, dass man Mitte Dezember damit beginnen würde. Es gab Gerüchte, man würde sie ohne vorhergehende Artilleriebombardements einleiten, um die Faschisten vollkommen unvorbereitet zu treffen.
Pandrup und die anderen Verantwortlichen hatten uns erst losschicken wollen, um eine Brücke in die Luft zu sprengen, aber die Brücken über die Flüsse und in den Bergen wurden viel zu gut bewacht. Mads machte stattdessen den Vorschlag, einen Tunnel zu sprengen. Wenn man den blockiere, wäre das ebenso effektiv. Es würde Tage oder sogar noch länger dauern, ihn zu räumen, und der Eisenbahnverkehr würde vollkommen zum Erliegen kommen. Es war typisch für Mads, solche Überlegungen anzustellen und bereits wenige Stunden, nachdem er die Landkarte studiert hatte, derart einleuchtende Ideen zu präsentieren, auf die sonst niemand kam.
Mads und ich arbeiteten sehr gut zusammen, wir besaßen das gleiche Talent, uns weit hinter die gegnerischen Linien zu schleichen, Dinge in die Luft zu sprengen, uns wieder davonzuschleichen und wie graue Diebe in der Nacht zu verschwinden.
Ich kannte ihn, seit er als Freiwilliger nach Albacete gekommen war. Wir hatten bei einer Offensive Seite an Seitegekämpft und waren gemeinsam in der Kunst der Sabotage ausgebildet worden. Er hatte keine besonders kräftige Statur, aber er war verdammt mutig und ein großartiger Soldat. Oder anders ausgedrückt: Dieser kleine Däne mit den verräterisch sanften Augen hatte ein großes Talent zum Töten.
Für unsere Mission in Aragonien hatten wir Verstärkung erhalten. Anfang Dezember machte Teruel seinem Ruf als Spaniens kältester Ort alle Ehre. Als Nordschwede war ich Kälte ja gewöhnt, aber unsere beiden spanischen Kameraden kamen nicht so gut mit dem Frost und dem beißenden Wind zurecht, obwohl wir von den Russen eine Winterausrüstung
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