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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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bekommen hatten. Sie waren Katalanen, hießen Federico und Vincente und sahen aus wie Brüder. Sie waren beide Mitte zwanzig, klein und unglaublich stark. Mads und ich hatten uns entschieden, außerdem noch Henri und Karl-Heinz mitzunehmen. Wir hatten früher schon einmal mit ihnen zusammengearbeitet. Henri war Belgier und Maschinengewehrschütze – ein verlässlicher und besonnener Mann mit seltsamen roten Haaren und grünblauen Augen. Karl-Heinz war ein deutscher Freiwilliger und als Mitglied der kommunistischen Partei vor Hitlers Nationalsozialisten geflohen. Leute wie ihn nannten wir »Tote auf Urlaub«. Sie hatten jedenfalls kein Land, in das sie zurückkehren konnten.
    Karl-Heinz war ein guter Kletterer, er war viel in den Alpen gewandert und Ski gefahren. Außerdem war er ein sicherer Schütze, und es war gut, ihn an unserer Seite zu haben. Er war über dreißig, aber er und Mads waren sehr gute Freunde geworden und sprachen Deutsch miteinander, was Mads perfekt beherrschte. Ansonsten mussten wir uns mit etwas Spanisch und Französisch behelfen, das die Katalanen ein wenig sprachen und das Henri fließend beherrschte, obwohl er Flame war. Mads und Karl-Heinz unterhielten sich oft über Kunst und Literatur, hat mirMads erzählt. Aber eigentlich hielten wir uns nie lange mit Worten auf. Jeder wusste, was er zu tun hatte.
    Mads war etwas niedergeschlagen und mutlos, seit er seinen Bruder in Madrigueras wiedergesehen hatte, wo wir uns nach dem Ausbildungslager in Pozo Rubio einige Tage lang aufgehalten hatten. Das Treffen der beiden war nicht gut verlaufen. Begegnungen mit Zivilisten verliefen selten gut, sie brachten das empfindliche Gleichgewicht der Gruppe durcheinander. Denn plötzlich fiel einem wieder ein, dass es ein Leben außerhalb der Hölle gab, in der man zurzeit lebte. Natürlich glaubten wir daran, für eine Idee zu kämpfen, die größer war als wir selbst, aber wenn es hart auf hart kam, kämpften wir doch nur für den Mann neben uns. Für den Freund. Für den Kameraden. Man hatte höllische Angst davor, zu sterben oder ernsthaft verletzt zu werden, und wusste, dass man nur überleben konnte, indem man auf seinen Nebenmann vertraute.
    In der Kirche von Madrigueras war ich mit seinem Bruder in Streit geraten. Der Cognac hatte mich dazu getrieben, aber ich musste mir auch eingestehen, dass ich so beleidigend und unverschämt gewesen war, weil ich Angst hatte, Magnus Meyer könne seinen kleinen Bruder dazu überreden, mit ihm nach Dänemark zurückzukehren.
    Ich redete mir ein, das verhindern zu müssen, weil unsere Brigadeführer niemals zulassen würden, dass Mads abreiste. Man würde ihn als Verräter oder Deserteur erschießen. Außerdem wollte ich einfach nicht, dass er abreiste. Ich war nur wenige Jahre älter als Mads, aber ich fühlte mich ihm gegenüber oft wie ein Vater oder großer Bruder, der auf ihn aufpassen musste. Eigentlich war er ziemlich unerschrocken, auch wenn er so feine und hübsche Gesichtszüge hatte und die Frauen ihm zu Füßen lagen, wenn er ihnen nur einmal kurz zublinzelte.
    Es war nicht zu übersehen, dass er darunter litt, inMadrigueras mit seinem Bruder im Streit auseinandergegangen zu sein. Seit ich ihn kannte, hatte er oft von seiner großen Schwester erzählt, aber nie von seinem Bruder. Der überstürzte Abschied machte ihm ganz offensichtlich zu schaffen, aber wir sprachen nicht darüber, und als der Lastwagen uns und die Ausrüstung in der dunklen aragonischen Nacht kurz vor der Front ablud, schien es, als habe er zu seiner alten Professionalität und Kaltblütigkeit zurückgefunden. Das war eine seiner besonderen Fähigkeiten. Sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren und alle anderen Gedanken zu verdrängen, die es ihm möglicherweise erschweren könnten, hinter den feindlichen Linien zu überleben.
    Der Lastwagen brachte uns entlang des dünn besetzten Frontabschnitts zu den niedrigen Bergen im Norden. Am Abend zuvor hatte Pandrup dafür gesorgt, dass wir noch eine anständige Mahlzeit bekamen. Das war eine echte Seltenheit. Sie hatten uns ein Ochsenschwanzragout mit jeder Menge dicken Ochsenschwanzstücken und viel Gemüse gekocht. Ich habe keine Ahnung, wo sie den Ochsen oder Stier herhatten, aber es war ein nach Knoblauch duftendes und wohlschmeckendes Gericht, und es gab reichlich davon. Dazu konnten wir so viel Brot essen, wie wir wollten, und das restliche Brot durften wir sogar mitnehmen. Pandrup aß mit uns und forderte uns auf, bei dem

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