Die Wahrheit stirbt zuletzt
Ich weiß nicht, was ihnen zugestoßen ist. Sie sind als vermisst gemeldet, aber wir müssen davon ausgehen, dass sie allesamt ums Leben gekommen sind. Wir haben keine Mitteilung vom Roten Kreuz darüber erhalten, dass sie sich in Kriegsgefangenschaft befinden. Das ist auch nicht wahrscheinlich.«
»Warum nicht?«
»Weil die Faschisten sie als Spione ansehen und sie auf der Stelle erschießen, wenn sie sie erwischen.«
»Nachdem sie sie gefoltert haben, stimmt’s?«
»Ja, das ist häufig der Fall. Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid.«
»Das glaube ich dir sogar. Ich kann es dir ansehen. Warum? Du bist doch ein knochenharter Politkommissar. In diesem Krieg kommen jeden Tag Menschen ums Leben. Was für eine Rolle spielt für dich schon ein Menschenleben mehr oder weniger?«
»Ich bin kein Unmensch. Ich habe Gefühle, auch wenn ich meine Pflicht erfülle.«
»Du hast Mads in den Tod geschickt, stimmt’s? Das ist es, was dich quält. Habe ich recht?«
»Ich habe Mads und seiner Gruppe den Auftrag erteilt. Das stimmt. Das ist meine Aufgabe. Das ist meine Pflicht.«
»Du hast ihn also in den Tod geschickt, und jetzt quält dich dein schlechtes Gewissen.«
»Wenn du so willst.«
Magnus steht auf. Er fühlt sich innerlich vollkommen leer. Es ist, als wäre er Teil eines Schauspiels oder als befände er sich inmitten eines Traums. Er hofft, im nächsten Moment zu erwachen und Irinas Stimme zu hören, und absurderweise malt er sich für einen lächerlichen und schmerzhaften Augenblick aus, sie würde mit Mads zusammen zurückkommen. Er schüttelt den Kopf. Sein Hirn ist voller Spinnweben, aber er hört Pandrup dennoch sagen:
»Jetzt zieh dich an, Magnus. Du musst nach Dänemark zurück. Ich habe ein Flugzeug in Los Llanos stehen, das heute früh abhebt, sobald es hell wird. Es bringt einige wichtige Menschen nach Marseille, und ich habe dafür gesorgt, dass für dich dort ebenfalls Platz ist. Mein Wagen wartet unten auf der Straße. Es gibt keinen Grund, warum du auch noch sterben solltest. Geh also bitte freiwillig mit. Sonst muss ich dich mithilfe der Guardia Asaltos anBord bringen lassen. Denn du musst auf jeden Fall von hier weg. Hast du das verstanden?«
»Das habe ich verstanden, Pandrup. Warum sollte ich auch hierbleiben wollen? Die beiden Gründe, die ich hatte, mich in diesem verfluchten Land aufzuhalten, existieren nicht mehr. Also verrate mir bitte, warum zum Teufel ich noch länger in diesem Land bleiben sollte?«
Es ist Magnus egal, dass seine Stimme bricht, und es ist ihm auch gleichgültig, dass Pandrup seine Tränen sieht. In diesem Moment würde er am liebsten seinen Revolver nehmen und dem Ganzen ein Ende setzen. Aber er will den Revolver doch lieber auf Stepanowitsch richten, falls er dazu noch einmal Gelegenheit hat. Er zieht sich also an und packt schnell seine Reisetasche. Er weint immer noch, und Pandrup schaut diskret weg.
25
I ch heiße Bertil Johansson. Ich wurde 1911 in Kiruna in Schweden geboren und arbeite in den Minen dieser Stadt. Das habe ich den größten Teil meines Lebens getan, unterbrochen von Perioden der Arbeitslosigkeit, von Arbeitsaufenthalten in Norwegen und den Jahren, in denen ich in Spanien gegen Francos Faschisten und für die Freiheit und den Sozialismus gekämpft habe. Ich bin verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder und führe ein beschauliches Leben in der Stadt, in der ich geboren wurde. Ich habe meine Geschichte dem Dänen Magnus Meyer erzählt, weil er der Bruder eines der besten Menschen ist, die ich gekannt habe. An seiner Seite habe ich auf Spaniens ausgedörrtem Boden gekämpft, dessen rote Farbe nicht nur eine Laune der Natur ist, sondern in hohem Maße vom Blut treuer Kameraden herrührt. Der Sozialismus wurde in Spanien verraten, und ich glaube nicht mehr an den Kommunismus, aber damals hat es mir sehr viel bedeutet, für etwas zu kämpfen, das größer ist als ich selbst. Ich habe mich dafür entschieden, meine Geschichte zu erzählen, um Mads Meyers Andenken zu ehren.
Ich habe physische Narben von diesem Kampf davongetragen. Spanien ist bei den meisten schnell wieder in Vergessenheit geraten, aber ich habe nichts vergessen, auch wenn ich meiner Frau und meinen Kindern nie von meinen Erlebnissen erzählt habe.
Ich erzähle sie jetzt freiwillig. Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, und das großzügige Honorar, das Herr Meyer mir angeboten hat, geht in voller Höhe an den Wohlfahrtsfonds der Minenarbeiter von Kiruna. Icherinnere
Weitere Kostenlose Bücher