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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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aragonischen Bauerngericht kräftig zuzulangen, damit wir gegen die Kälte gewappnet wären. Hinterher gab es echten Kaffee mit so viel Zucker, wie wir wollten.
    Wir aßen, bis wir kurz davor waren zu platzen. Vielleicht hätten wir da schon begreifen können, warum man uns gemästet hatte, als wären wir Schlachtvieh. Denn genau das war es, wozu man uns in Wirklichkeit auserkoren hatte.
    Wir waren ziemlich bepackt, als wir uns zu Fuß auf den Weg machten. Die kleinen, sehnigen Katalanen waren unserePackesel. Außer ihren russischen Gewehren schleppten sie in zwei großen weißen Rucksäcken noch das Dynamit und die Sprengsätze und einige der Werkzeuge für die Arbeiten im Tunnel. Henri trug ein neues Maschinengewehr, das wir von den Deutschen erbeutet hatten, außerdem Munition und Granaten, während Mads und ich etwas Proviant und Munition für unsere Karabiner in unseren Rucksäcken hatten sowie Seile und anderes Bergsteigerzubehör, um uns auf die Bahngleise abseilen zu können. Außerdem hatten wir alle Decken und dicke Schlafsäcke dabei, die die Russen nach Spanien geliefert hatten. Normalerweise waren es schlechte und alte Sachen, die man an die Leute der Republik verteilte, aber wir »Especiales« wurden immer gut ausgestattet.
    Obwohl wir ziemlich bepackt waren, waren wir immer noch sehr mobil. Wir mussten kein Wasser mitschleppen. Es gab jede Menge Gebirgsbäche, aus denen wir uns Wasser holen konnten. Das ersparte uns viele zusätzliche Kilo Schlepperei. Für den Anfang konnten wir uns mit einer Feldflasche für jeden begnügen.
    Der Führer, der uns den Weg durch die Berge zeigen sollte, war ein kleiner, wortkarger Mann, der den Eindruck machte, stundenlang laufen zu können. Ich weiß nicht, wie alt er genau war, vielleicht Mitte vierzig, auf jeden Fall ein ganzes Stück älter als wir. Er gab uns die Hand und sagte, er heiße Rafael. Seine Kleidung war dick und warm, aber auch alt, doch der zähe Hirte aus Aragonien sah nicht so aus, als könne die Kälte ihm etwas anhaben. Seine Stiefel schienen immerhin fest und gefüttert zu sein. Er war halber Katalane und sprach mit Vincente und Federico Katalanisch. Während einer Pause erzählten sie uns später, dass seine Frau und seine beiden Söhne zu Beginn des Krieges in der Stierkampfarena von Burgos von den Faschisten erschossen worden seien.
    Er hatte nur einen kleinen, zerschlissenen Rucksack dabei,in dem sich Brot, Wurst und Zwiebeln, Ziegenkäse und zwei kleinere Weinschläuche befanden, von denen einer mit Wasser und der andere mit Rotwein gefüllt war. Seine einzige Waffe war ein altmodisches doppelläufiges Jagdgewehr, dessen Schaft vom langjährigen Gebrauch ganz abgenutzt war. Wir gaben ihm einen weißen Overall, unter dem er seine schwarze Hirtenkleidung verbergen konnte und der ihn außerdem wärmen sollte.
    Der Wind heulte in den Bäumen, und es war bitterkalt, als wir im Dunkeln die Frontlinie der Faschisten überquerten. Der Frontabschnitt war nur dünn besetzt, und die Wachtposten kauerten unten in den Schützengräben, um sich vor dem starken Wind und den feinen Eiskristallen zu schützen, die die Erde schon mit einer dünnen weißen Schicht bedeckt hatten. In unseren winddichten russischen Kampfuniformen, die Stalin für Kriegseinsätze während des strengen russischen Winters hatte entwickeln lassen, machte uns das nichts aus. Wir hatten unsere Waffen in Stoff eingeschlagen, damit sie nicht schepperten.
    Wir zogen uns unsere Schals bis über die Nase, gingen im Gänsemarsch durch die Nacht und gelangten unbemerkt hinter die feindlichen Linien. Von dort aus marschierten wir in die Berge hinauf, wo wir kurz vor der Morgendämmerung in einer Höhle Rast machten, die uns zwei Pfadfinder auf der Karte gezeigt hatten und zu der Rafael uns geradewegs hinführte. Er schien jede Biegung und jeden Stein des schmalen Pfades zu kennen, der sich still und gleichmäßig zu den Gipfeln hinaufschlängelte. Um uns herum herrschte dichte Dunkelheit, aber dank der dünnen Schneeschicht auf der Erde und dank der Sterne, die am Himmel zu sehen waren, wenn die Wolken sich hin und wieder auflösten, konnten wir uns trotz allem einigermaßen orientieren.
    Für einen Krieg, in dem sonst vieles schiefging, verlief diese erste Nacht vollkommen reibungslos. Die Höhle befandsich genau dort, wo man sie uns auf der Karte gezeigt hatte. Auf wundersame Weise lag sie auch noch in der richtigen Richtung, sodass der Wind dort nicht direkt hineinpfiff. In der Höhle war

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