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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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auszuhalten ist. Trotzdem ist er noch nie irgendwo gewesen, wo es so eisig war wie in Moskau. Er friert schon wieder und begreift nicht, wie die Moskowiter diese Temperaturen ganz normal finden können. Ein Stück weiter die Straße hinauf liegt das Bolschoi-Theater neben einem vornehmen Gebäude, in dem Irinas Vater und Bruder bald vor Gericht gestellt werden, erzählt Svend. Es ist ein schönes dreistöckiges Haus, das pastellgrün gestrichen ist und dessen Eingangstür von vier schlanken weißen Säulen umrahmt wird. Ganz oben befindet sich eine Art Kuppel. Svend erklärt ihm, dass es sich dabei um das Haus der Gewerkschaften handle und dass der tote Lenin dort im Kuppelsaal aufgebahrt sei.
    Sie gehen zum Roten Platz hinüber, den Svend Magnus unbedingt zeigen will. Magnus dagegen hat nur den einen Wunsch, Irina gegenüberzustehen und aus ihrem Mund zu hören, dass sie ihn nicht mehr liebt und dass sie nicht mit ihm fortgehen will. Dass sie selbst und niemand anders diese Entscheidung getroffen hat. Daher hört er auch nur mit halbem Ohr zu, als sie den imposanten Platz erreichen. Sie sind keineswegs die Einzigen dort. Er sieht eine lange Reihe geduldiger Menschen, die an der Kremlmauer entlang und bis hin zum Roten Platz Schlange stehen.
    Das Kopfsteinpflaster ist rutschig unter der dünnen Schneedecke. Sie spazieren über den Platz zu einer Kirchemit vielen bunten Kuppeln, die aber ganz verfallen ist. Hinter ihr steigt in einiger Entfernung schwarzer Rauch aus drei großen Industrieschornsteinen auf. Er spürt die beißende Kälte an den Oberschenkeln und an den Wangen. In ein großes Gebäude links vom Platz strömen Menschen. Es ist das GUM, das größte Warenhaus der Stadt, das immer sehr gut besucht ist, vor allem von Menschen aus den fernen Provinzen, die zum Einkaufen nach Moskau gekommen sind.
    Vor der Kremlmauer auf der rechten Seite steht ein niedriges viereckiges Gebäude. Eine lange Schlange wartender Menschen windet sich in einem weichen S, um hinter einer Ecke zu verschwinden. Die Schlange bewegt sich nur langsam vorwärts, schiebt sich nach und nach in das rote Granitgebäude hinein. Die Leute stampfen gegen die Kälte mit den Füßen auf. Magnus hört keine einzige Stimme. Selbst die halbwüchsigen Kinder, die in ihren Mänteln und Mützen wie unförmige Kleiderbündel aussehen, sind still. Die Menschen in der Schlange wirken wie Marionetten, die ein erfahrener Puppenspieler fein säuberlich aufgestellt hat.
    Zwei steif gefrorene Soldaten in grauen Uniformen halten Ehrenwache vor einer schwarzen Flügeltür, die in den roten Marmor eingelassen ist. Die Soldaten stehen reglos in der Kälte und sind vom beißenden Frost ganz weiß im Gesicht. Ihre Augen blicken ins Leere, als hätten sie sich in ihr Inneres zurückgezogen, um dort auszuharren, bis die Wachablösung kommt.
    Svend nimmt seine Pelzmütze ab und senkt kurz den Kopf.
    »Lenins Mausoleum«, sagt er. »Der Vater des Sozialismus und Gründer des Staates liegt einbalsamiert dort. Ich habe ihn einmal gesehen. Es ist ehrfurchteinflößend, einem so großen Mann von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, auch wenn er tot ist.«
    »Das glaube ich gern. Der reinste Pharao. Oder vielleicht ein heidnischer Gott?«, sagt Magnus trocken.
    »Du willst den großen Lenin also nicht sehen? Als Ausländer musst du dich nicht einmal in der Schlange anstellen«, erwidert Svend und setzt sich die Pelzmütze wieder auf.
    »Nein, danke. Kein Bedarf. Er ist nicht mein Heiliger.«
    Svend will etwas erwidern, schluckt es dann aber hinunter.
    Von der Turmuhr vor ihnen sind Glockenschläge zu hören, drei Soldaten marschieren aus dem Eckturm heraus und bewegen sich langsam im Stechschritt an der Kremlmauer entlang. Der Offizier marschiert voran, und hinter ihm folgen zwei Soldaten mit den Gewehren stramm auf der Schulter wie beim Exerzieren. Svend und Magnus betrachten das eigentümliche Ritual des Wachwechsels, bei dem die Soldaten die Gewehre synchron herumschwenken und mit ihren hohen Stiefeln taktsicher und lautstark aufstampfen, während die kurzen Kommandos des Offiziers über den Platz hallen. Als die durchgefrorenen Soldaten in der warmen Wachstube angekommen sind und die neuen einander reglos vor der Flügeltür gegenüberstehen, gehen Svend und Magnus weiter.
    »Auf die Weise ehrt man Lenin«, sagt Svend. »Stalin hat beschlossen, dass Lenin für alle Zeiten hier ruhen soll. Es war nicht Lenins eigener Wunsch. Tausende von Menschen haben Stalin

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