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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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bei der GPU, der militärischen Abteilung des NKWD. Ich bin mehrere Jahre als Agent und Führungsoffizier der Komintern im Einsatz gewesen, und in dieser Funktion haben wir einander auch in Spanien kennengelernt. Mein oberster Chef hängt drüben im Esszimmer an der Wand, aber meinen unmittelbaren Vorgesetzten siehst du hier auf der rechten Seite direkt neben dir, Meyer.«
    Magnus dreht sich nach rechts um und sieht ein kleines Schwarzweißfoto, das in einem zarten Silberrahmen an der Wand hängt. Das Bild zeigt einen Mann von etwa vierzig Jahren mit einem markanten Gesicht unter einer hohen Offiziersmütze. Er hat volle Lippen und tief liegende dunkle Augen. Auf seinem Uniformkragen und der Offiziersmütze kann man den fünfzackigen Stern erkennen. Auf seinem Gesicht ist ein schwaches Lächeln zu erahnen, das er aber zu unterdrücken scheint. Es ist ein düsteres, dennoch anziehendes Gesicht.
    »Das ist Nikolai Jeschow. Er ist der jetzige Chef des NKWD. Er wurde vor zwei Jahren ernannt, als sein Vorgänger einen plötzlichen Tod sterben musste, weil deroberste Boss kein Vertrauen mehr zu ihm hatte. Die Bekanntschaft zwischen Kamerad Jeschow und mir reicht jedoch schon viele Jahre zurück. Wir haben in Leningrad eng zusammengearbeitet. Jeschow ist kein großer Mann. Er misst nicht mehr als einen Meter fünfzig und er hinkt. Das hat im Laufe der Jahre so manchen Kameraden dazu verleitet, ihn zu unterschätzen und Zwerg zu nennen. Diesem Spitznamen haben sie häufig noch wenig schmeichelhafte Attribute hinzugefügt. Der giftige Zwerg. Oder der blutige Zwerg. Die meisten von ihnen sind nicht mehr am Leben. Ich dagegen habe seinen Mut und seine Rücksichtslosigkeit schon immer bewundert und habe ihn nie unterschätzt. Ich habe miterlebt, wozu er fähig ist, als er als stellvertretender Landwirtschaftsminister dafür gesorgt hat, dass die sturköpfigen Kulaken endlich begriffen, dass die Kollektivierung etwas ist, das durchgeführt werden muss. Und sie wurde dann ja auch durchgeführt. Es hat zwar einige Millionen Menschenleben gekostet, aber heute haben wir unsere sozialistische Landwirtschaft, es hat sich also gelohnt. Warum diese Sentimentalität? Jedes Jahr sterben Millionen von Menschen infolge von Epidemien oder Naturkatastrophen. Niemand regt sich darüber auf. Wenn wir als Teil der Weltrevolution, dieses wahrhaft bedeutenden Experiments, die Parasiten ausrotten, dann fangen die zarten Seelen an zu heulen. Die Natur ist nicht so zimperlich. Warum sollen wir Menschen es also sein, wenn wir mit unseren Taten einer guten Sache dienen? Kamerad Stalin versteht diese Dialektik, und Jeschow ebenfalls. Er ist mein Chef und mein Partner. Darauf stoßen wir an.«
    Der Mann, der sich jetzt Dmitrij Kawerin nennt, leert sein Glas. Magnus tut es ihm widerwillig gleich, aber er braucht jetzt unbedingt etwas zu trinken. Der Wodka brennt lange in seinem Hals und scheint seine Denkfähigkeit wieder in konstruktivere Bahnen zu lenken. Oder liegt es daran, dass der Schock sich allmählich legt?
    Irina nippt an ihrem Glas und hält es danach mit beiden Händen auf ihrem Schoß fest. Magnus begreift nicht, was mit der selbstsicheren, verführerischen Frau passiert ist, die er in Spanien erlebt hat. Was haben sie mit ihr gemacht? Hat der Kirgise sie misshandelt? Äußerlich ist ihr nichts anzusehen, und sie bewegt sich auch normal.
    »Warum erzähle ich dir das alles? Dafür gibt es zwei Gründe. Der eine ist, dass ich dir ein für alle Mal zu verstehen geben will, dass es sehr dumm ist, mich und meinen Chef zu unterschätzen. Wir haben die Macht in diesem Land. Der andere Grund ist, dass ich dir den größeren Zusammenhang verdeutlichen will, damit du begreifst, dass es von entscheidender Bedeutung ist, dass du mir die gewünschten Informationen gibst. Ich hoffe, es wird nicht nötig sein, Torokul hinzuziehen, um dich zu überzeugen. Weißt du, die Wohnung, die rechts neben dieser liegt, ist leer und versiegelt. Dasselbe gilt für die Wohnungen über und unter uns. Niemand kann uns hören. Ich gehe davon aus, im Laufe des Sommers selbst hier einzuziehen, wenn der Boss mir die Erlaubnis dazu erteilt. Es gibt genügend Wohnungen zur Auswahl. Allein in diesem Gebäude haben wir siebenhundert Volksfeinde verurteilt. Parteikameraden, Offiziere und sogenannte Künstler, die sich als Lakaien des Kapitalismus erwiesen und die Prinzipientreue des NKWD und insbesondere von Kamerad Jeschow unterschätzt haben. Nicht wahr, Irina? Wie dein Vater und

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