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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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…«
    Wieder diese beklemmende Pause. Sie sieht Magnus an, als müsste sie erst überlegen, wer er überhaupt ist und was dieser fremde Mann in ihrem Wohnzimmer zu suchen hat, während draußen der Schnee fällt und den Kreml in eine weiße Decke hüllt.
    »Komm mit mir mit, Irina. Ich liebe dich. Heirate mich. Ich kann dich aus diesem Albtraum befreien, in dem du lebst. Ich kann dich aus deinem Gefängnis befreien. Ich liebe dich, Irina. Komm doch bitte mit. Hier hält dich doch nichts mehr.«
    Sie sieht ihn an. Ihre Augen sind feucht. Sie ballt die Hand zur Faust, hält sie sich vor den Mund und beißt in die Fingerknöchel. Das ist eine scheußliche neue Angewohnheit von ihr. Sie hat Schorf an den Knöcheln, und die Nägel sind abgekaut.
    Sie antwortet nicht, sondern geht zum Fenster und stellt sich mit dem Rücken zu ihm hin. Ihr Rücken ist zart und wehrlos wie der eines jungen Vogels. Er geht zu ihr und nimmt ihre Hand, streichelt über die roten Stellen an ihren Fingerknöcheln. Sie lässt die Geste zu, ergreift seine Hand jedoch nicht.
    »Es kann nichts werden, daran besteht kein Zweifel. Es musste so kommen«, bricht es plötzlich aus ihr heraus.
    »Was meinst du.«
    »Wir Russen sind sehr abergläubisch. Am Silvesterabend schauen die unverheirateten Frauen in eine Schale mit klarem Wasser. Um einen kurzen Blick auf ihren zukünftigen Ehemann werfen zu können. Falls du im neuen Jahr heiraten wirst, taucht er gegen Mitternacht darin auf. Wenn du aufmerksam und nicht zu betrunken bist, hast du vielleicht Glück und kannst einen kurzen Blick auf ihn werfen, sodass du weißt, nach wem du Ausschau halten musst.«
    »Dann hättest du also mich sehen müssen.«
    »Ich habe nicht hineingeschaut.«
    »Das wäre aber …«
    »Ich war in Spanien. Erinnerst du dich nicht? Wir haben den ganzen Abend zusammen getanzt und hinterher haben wir uns geliebt. Hast du das etwa schon vergessen?«
    »Nein, natürlich nicht, Irina.«
    Er betrachtet ihr Profil, die edle gerade Nase und die hohen Wangenknochen. Sie ist nicht geschminkt, und wieder überrascht es ihn, wie zerbrechlich und zart sie aussieht. Er entdeckt eine dünne blaue Ader unter ihrem Auge. Er sucht nach Worten und verflucht sich selbst, weil er sich der Situation nicht gewachsen fühlt.
    Will Irina ihn davon abzuhalten, über ernsthafte Dinge zu sprechen? Oder ist sie verrückt geworden und versucht die Dämonen, die sie quälen, fernzuhalten?
    Sie zeigt zur Baustelle hinüber. »Da war früher einmal eine Kirche, hat meine Großmutter gesagt. Eine riesige Kathedrale. Sie hieß Christ-Erlöser-Kathedrale. Papa hat sie natürlich hierher eingeladen, als wir diese vornehme Wohnung zur Verfügung gestellt bekamen. Er wollte ordentlich angeben damit. Babuschka war überhaupt nicht beeindruckt. Sie ging einfach nur zu diesem Fenster, bekreuzigte sich und flüsterte: ›Der Antichrist ist gekommen. Der Antichrist wird Unheil bringen. Der Antichrist wird schließlich in der Hölle verbrennen.‹ Und dann machte sie mit der rechten Hand das Teufelszeichen, als wollte sie die bösen Geister verscheuchen.«
    »Wann war das?«
    »Was?«
    »Dass dort eine Kathedrale stand?«
    »Es muss vor 1931 gewesen sein. Denn 1932 sind wir hier eingezogen, und da hatte man bereits mit dem Bauvorhaben begonnen, das du jetzt da draußen siehst. Meine Großmutter sagte, Mineure des Roten Heeres hätten die Kathedrale in die Luft gesprengt. Der Mann da an der Wand hasste es, dass er die Kuppeln von seinem Büro aus sehen konnte. Alle möglichen anderen Kirchen wurden ebenfalls abgerissen und die Klöster geschlossen. Die Religion hatte man ja bereits abgeschafft, also bloß weg mit der Christ-Erlöser-Kathedrale. Sie war ohnehin nur im Weg. Peng! Und schon war sie weg. Meine Großmutter erzählte, dass eine Gruppe Priester sich geweigert hatte, die Kirche zu verlassen. Und so war es auch mit ihnen aus. Es hieß, wenn sie nicht herauskommen wollten, dann seien sie selbst schuld, und man sparte sich die Kosten für ihre Beerdigung.«
    »Und was wird da gebaut, Irina?«, fragt er, damit sienicht aufhört zu sprechen. Denn es wirkt trotz allem, als löse sich etwas in ihr, wenn sie spricht.
    »Jetzt? Sie bauen einen neuen Obersten Sowjet. Es wird das höchste Haus der Welt, sagt Papa. Höher als das Empire State Building in New York. Über vierhundert Meter. Ganz oben soll dann eine hundert Meter hohe Lenin-Statue stehen. Sein ausgestreckter Arm soll dreißig Meter lang sein, sagt Papa. Stell

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