Die Wahrheit stirbt zuletzt
dein Bruder zum Beispiel.«
»Ja, Dmitrij. Da hast du bestimmt recht«, sagt sie, ohne ihn anzusehen.
Der magere Russe beugt sich über den Tisch und tätschelt Irina zu Magnus’ großem Zorn väterlich die Hand, bevor er fortfährt. »1936 wurde mir die Verantwortung dafür übertragen, das spanische Gold nach Moskau zu bringen. I speak English as well, but let us stick to Spanish«, sagt er mit einem so überzeugenden amerikanischenAkzent, als wäre er als Kind oder Jugendlicher in die Staaten eingewandert.
Er fährt auf Spanisch fort, während Magnus darüber nachdenkt, dass Stepanowitsch ihm auf dem Flughafen von Valencia also verheimlicht hat, dass er Englisch sowohl versteht als auch spricht, als Magnus dazugekommen war, um für Joe Mercer zu dolmetschen.
»Als wir die Operation eingeleitet haben, habe ich mich Robert Jackson genannt und als Repräsentant der Amerikanischen Nationalbank ausgegeben. Es war wichtig, dass weder die Vertreter der spanischen Regierung noch die anderer Länder darüber Bescheid wussten, dass die Sowjetunion hinter der Goldtransaktion steckt. Aber das war nur eine von vielen Desinformationskampagnen, die wir im Zusammenhang mit dem Goldtransport durchgeführt haben. Ich weiß nicht, wie viel Joe Mercer dir erzählt hat?«
Er sieht Magnus an, der sich bemüht, seine Mimik unter Kontrolle zu behalten, als er Joes Namen hört. Woher kennen sich Kawerin und Joe? Er kann unmöglich über Joes Schicksal informiert sein. Die Einzigen, die in den Ruinen unter der Kirchenkrypta dabei waren, waren er selbst, Irribarne, der andere Spanier namens Francisco und Joe. Und alle drei sind tot.
Magnus schwitzt, allerdings nicht nur, weil es in der Wohnung warm ist. Er versucht, etwas Zeit zu gewinnen, zieht sein silberfarbenes Zigarettenetui hervor und bietet Irina eine Zigarette an, die sich mechanisch bedient. Auch Kawerin nimmt eine der amerikanischen Virginia-Zigaretten, die Magnus in Berlin gekauft hat. Kawerin gibt ihnen Feuer und legt das Streichholz in den großen Aschenbecher, der mitten auf dem Tisch steht. Er atmet den Rauch genüsslich ein und lässt ihn durch die Nase wieder entweichen.
»Okay«, sagt er dann. »Wir kommen später noch einmaldarauf zurück, welche Rolle Joe Mercer in dieser Angelegenheit gespielt und was das Ganze mit deinem Bruder Mads zu tun hat, den zu kennen und zu befehligen ich die Ehre hatte.«
»Was soll das heißen? Was hat das mit Mads zu tun?«
Magnus versucht gar nicht erst, seine Erregung zu verbergen. Das würde ihm ohnehin nicht gelingen. Er schreit und ist schon halb aus dem Stuhl aufgesprungen. Aber Kawerin sieht ihn nur mit einem schiefen Grinsen an. Magnus spürt zwei schwere Hände auf den Schultern, die ihn brutal auf seinen Stuhl zurückpressen, sodass sein Rücken schmerzt. Torokuls Hände fühlen sich an wie zwei Betonklötze, und Magnus kann seinen Schweiß riechen. Er ist erleichtert, als die Hände ihren harten Griff lockern und sich zurückziehen. Er spürt, dass der stattliche Kirgise einige Schritte zurücktritt, aber auch, dass er in seiner Nähe bleibt.
»Alles zu seiner Zeit, Meyer. Alles zu seiner Zeit«, sagt Kawerin. »Bist du jetzt fertig mit deinem Ausbruch, sodass wir unser Gespräch wie Gentlemen fortsetzen können. And a lady, of course?«
Mit Mühe beherrscht sich Magnus, und Kawerin fährt im Plauderton fort, als unterhielten sie sich über das Wetter oder die letzte langweilige Oper im Bolschoi-Theater.
»Wie gesagt, ich habe keine Ahnung, was Joe Mercer dir erzählt hat, aber hier hast du die Geschichte in kurzen Zügen – die wahre Geschichte. Es gibt viele Gerüchte über das spanische Gold. Es war ja eine riesige Menge. Die viertgrößte Goldreserve der Welt, wie du vielleicht schon gehört hast. Das Ergebnis der Beutezüge einiger tüchtiger Konquistadoren in Lateinamerika. Die Aufgabe wurde mir am 13. September 1936 vom damaligen Finanzminister Juan Negrín übertragen, der sich mit Stalin und Außenminister Molotow abgesprochen hatte. Ich sollte das spanische Gold in die Sowjetunion bringen,damit die Republik sich Waffen kaufen konnte. Madrid konnte jederzeit fallen, entweder an die Faschisten oder an die Anarchisten. Ich witterte meine Chance, als ich die Transportpapiere und das Verzeichnis der Güter sah. Jeschow und ich hatten oft darüber gesprochen, dass das Leben an der Spitze der Sowjetunion ziemlich riskant ist, und wenn man sich irgendwie finanziell absichern könnte, wäre das sicher keine
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