Die Wahrheit stirbt zuletzt
sollst. Und ich finde, du solltest es jetzt tun!«
Magnus erkennt den Akzent wieder, ist aber dennoch zutiefst schockiert, als Stepanowitsch mit einem sarkastischen Lächeln auf den Lippen und einer schweren Pistole in der Hand im Durchgang zwischen den beiden großen Räumen erscheint.
31
M agnus lässt Irinas Hand los. Er ist vollkommen perplex, dass Stepanowitsch sich ebenfalls in der Wohnung befindet. Im selben Moment übermannt ihn die Wut, weil Irina nicht im Geringsten verwundert zu sein scheint, dass der Russe gerade wie ein Gespenst vor ihnen aufgetaucht ist. Sie hat die ganze Zeit gewusst, dass Stepanowitsch da ist. Man hat ihn in eine Falle gelockt.
»In Señor Meyers rechter Jackentasche findest du einen Revolver, teuerste Irina. Der ruiniert den Schnitt seines Anzugs. Nimm ihn heraus und geh ein Stück von deinem geliebten Meyer weg. Wir wollen doch nicht, dass dir etwas passiert, wenn sich hier ein Schuss löst.«
Er bewegt seine Pistole langsam auf und ab.
Magnus sieht Irina an.
Ihr Blick wirkt verschleiert, als hätte sie ein Betäubungsmittel genommen. Aber die größte Erniedrigung ist, dass Stepanowitsch sich bedingungslos auf sie zu verlassen scheint. Sie steckt die Hand in seine Jackentasche und nimmt seinen Revolver heraus, hält ihn mit sicherem Griff fest und tritt zur Seite. Er sieht, dass sie nicht das erste Mal eine Waffe in der Hand hält.
In diesem Moment tritt der stattliche Mann aus dem Säulensaal in die Tür. Er hat sich also ebenfalls irgendwo in dieser riesigen Wohnung aufgehalten. Mit seiner bloßen physischen Präsenz gibt er Magnus zu verstehen, dass es kein Entrinnen für ihn gibt.
Irina durchquert das Zimmer und stellt sich neben Stepanowitsch, der ihr zulächelt. Sie lächelt nicht zurück, sondern sieht zu Boden. Stepanowitsch nimmt ihr denRevolver ab. Routiniert schiebt er die Trommel heraus und vergewissert sich, dass sich in der ersten Kammer kein Projektil befindet, bevor er ihn auf dem Rücken unter seinen Gürtel schiebt. Zu Magnus’ Überraschung sichert er auch seine eigene Pistole und steckt sie in das Schulterholster, das er unter seiner Jacke trägt.
»Die brauche ich nicht, Meyer. Sie war nur eine Art Requisit in einer Theatervorstellung. Zu Beginn der Vorstellung gehörte sie gewissermaßen dazu. Du hast keine Chance, an meinem Freund vorbeizukommen. Er heißt Torokul und ist kirgisischer Meister im Freistilringen. Alle Tricks sind erlaubt, und es wird so lange gekämpft, bis einer der Gegner nicht mehr aufsteht. Ich habe ihn im Moskauer Staatszirkus entdeckt und war natürlich hingerissen von seiner Kraft, aber ganz besonders von der Freude, mit der er anderen Menschen Schmerz zufügt. Ich ziehe ihn hinzu, wenn ich Leuten richtig Angst einjagen will. In der Regel genügt es, wenn sie ihn nur zu sehen bekommen. Und sonst haben ein paar Schläge seiner Fäuste noch jeden zum Reden gebracht. Du kannst ganz offen sprechen. Torokul versteht kein Wort Spanisch – er spricht noch nicht einmal anständig Russisch.«
Magnus wird aus Stepanowitsch nicht schlau. Er redet mit ihm, als machten sie bei einem Empfang oder bei einer zufälligen Begegnung in einer Bar höflich Konversation miteinander, aber seine Augen sind so kalt wie der Frost draußen. Sie sind jetzt also per Du.
»Wollen wir nicht nach nebenan gehen und es uns bequem machen?«, schlägt der Russe vor und fasst Irina am Ellbogen.
Er begleitet sie zu einem Stuhl mit hoher Lehne und deutet auf den Stuhl daneben. Magnus setzt sich gehorsam und versucht, die widerstreitenden Gefühle unter Kontrolle zu bekommen: Ohnmacht, Wut, Enttäuschung, Verwirrung, Fassungslosigkeit, beinahe so etwas wie Trauer.Alles wirbelt durcheinander, und er ist nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
Stepanowitsch setzt sich Irina und Magnus gegenüber.
Der stattliche Kirgise kommt mit der Wodkaflasche und den drei Gläsern und stellt sie auf den niedrigen schmalen Tisch vor ihnen, bevor er einige Schritte zurücktritt, sodass sein gewaltiger Körper den Bogen zwischen den beiden Zimmern ausfüllt. Stepanowitsch lächelt, aber es ist kaum mehr als ein leichtes Zucken um die Mundwinkel. Er gießt Wodka in drei Gläser und reicht erst Irina eines, die es mechanisch in Empfang nimmt, und dann Magnus.
Er erhebt sein Glas. »Auf den glücklichen Ausgang unseres gemeinsamen Geschäfts. Und ich möchte mich hiermit vorstellen: Mein richtiger Name ist Oberstleutnant Dmitrij Jewgenjewitsch Kawerin. Ich bin Offizier
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