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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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und weil er wusste, wie viel Mads unddu mir bedeutet, hat er sowohl euch als auch mich bestraft, indem er euch verboten hat, mit mir zu spielen, als wir klein waren, oder mit mir zu sprechen, als wir größer waren. Ich erinnere mich noch gut an meine Wut und meine Ohnmacht, aber auch daran, wie ich mich selbst verabscheut habe. Es hat Mads und dir in vielerlei Hinsicht mehr wehgetan als mir. Ich habe mich an die Prügel gewöhnt, aber ich habe mich nie daran gewöhnt, euch so unglücklich zu sehen.«
    Sie drückt seinen Arm, und er kann mehr spüren als sehen, dass sie weint. Sie erinnert sich noch genauso gut daran wie er. Sie ist es nicht gewohnt, dass er seine Gefühle offen ausspricht. Sie spürt seinen Schmerz und seine unterdrückte Wut und seine Verbitterung, die ihn wie Salzsäure zerfressen. Er tut ihr damit erneut weh.
    Magnus legt den Arm um sie und zieht sie zu sich heran.
    »Du musst die Vergangenheit ruhen lassen«, sagt sie, und ihre Stimme ist noch dünner und klingt so fern, als käme sie tief aus dem Inneren ihrer Seele. »Ich bitte dich ja nicht darum, Vater zu vergeben, ich bitte dich nur darum, Mads nach Hause zurückzuholen.«
    »Ich werde es auf jeden Fall versuchen. Aber ich tue es nicht Vater zuliebe. Wenn er Höllenqualen leidet, weil er seine beiden Söhne verloren hat – jetzt auch den, den er immer vorgezogen hat –, dann wäre mir sehr danach zumute, sofort wieder nach Amerika zurückzukehren. Dort ist mein Zuhause. Das weiß ich jetzt. Ich tue es auch nicht dir zuliebe, Marie. Und auch nicht um Mads’ willen. Ich tue es für mich selbst. Ich tue es, weil ich mir einbilde, ich könnte einen Teil der Schuld abtragen, die ich empfinde, weil ich dir und Mads – und früher auch Mutter – so wehgetan habe.«
    »Magnus, jetzt hör doch endlich auf …«, sagt sie flehend, aber er fährt in demselben nüchternen, beinahe harten Tonfall fort: »Marie, du sollst mich nicht zumHelden stilisieren. Ich werde wie versprochen nach Spanien reisen und versuchen, unseren kleinen Bruder dazu zu bewegen, mit dem Wahnsinn aufzuhören, in den er sich da gestürzt hat. Aber nicht, weil ich ein guter Mensch bin. Es ist eine rein egoistische Tat, damit ich nachts wieder besser schlafen kann.«
    Sie zieht ihren Arm zurück und wirft die Zigarette auf den Kies vor der großen Freitreppe, die zur Villa hinaufführt.
    Magnus schaut zu den erleuchteten Fenstern des Sanatoriums hinüber und spürt, wie sein Herz heftig schlägt und das Blut in seinen Schläfen pocht. Die Zigarre schmeckt plötzlich muffig und bitter. Er legt sie auf den Rand des Blumenkübels, in dem ein paar Sommerblumen bereits kapituliert und sich auf die dunkle Jahreszeit eingestellt haben.
    Sie fasst ihn am Ärmel seines Sakkos, sanft und doch fest, stellt sich leicht auf die Zehenspitzen und küsst ihn schnell und flüchtig auf den Mund. »Danke, Magnus. Du bist viel zu hart dir selbst gegenüber. Du bist mein Held, da kannst du sagen, was du willst. Du hast überhaupt keinen Grund, so streng mit dir zu sein«, sagt sie mit einem Lächeln, und die Stimmung ist jetzt deutlich besser.
    In unaufgeregtem und fröhlichem Ton erwidert Magnus: »Schwesterherz. Dein kleiner Bruder sollte nicht dein Held sein. Warum suchst du dir nicht einen jungen Mann, der dein großer Held sein darf?«
    »Die, die ich gern hätte, wollen mich nicht. Und die, die mich wollen, will ich nicht.«
    »Die Männer in Dänemark haben wirklich keinen Geschmack. Hat es denn je einen gegeben?«
    »Es geht dich eigentlich nichts an, Bruderherz. Aber ja, es hat einige gegeben, aber keinen bestimmten. Und jetzt möchte ich gern, dass du mich nach drinnen begleitest, denn mir ist kalt.«
    »Die jungen Männer in diesem Land sind wirklich nicht gescheit, dass sie ein so wunderbares Mädchen wie dich frei herumlaufen lassen.«
    »Und was, wenn ich selbst es vorziehe, frei herumzulaufen, wie du es nennst? Es gefällt mir nicht, was mit den Frauen passiert, wenn sie heiraten. Ich sehe es bei meinen Freundinnen. Lebhafte, intelligente Frauen verschwinden zwischen Kindern und Kindergeschnatter, werden tantenhaft und sind nur noch Schatten ihrer selbst. Oder vielleicht eher die Schatten ihrer Männer. Und das Schlimmste daran ist: Sie bemerken es nicht einmal selbst.«
    »Okay.«
    »Du und dein Okay. Ich habe es nicht so eilig damit zu heiraten. Jetzt lass uns ins Haus gehen. Oder warte noch einen Moment. Was ist denn mit dir? Warum bist du nicht verheiratet? Warum wird es als

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