Die Wahrheit stirbt zuletzt
Augen an. Irgendwo da drin versteckt sich ein neckendes Lächeln,denkt Magnus, dem es schwerfällt, den kleinen, schnell sprechenden Mann einzuschätzen, der jetzt sagt: »Ich kenne Ihren Vater seit sieben Jahren. Ich hatte das Glück, ihn kennenzulernen, kurz nachdem ich in die Stadt kam. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich ihn sehr schätze und ihn inzwischen als einen engen Freund betrachte.«
Magnus sagt nichts.
Brodersen fährt fort: »Anders gesagt, werde ich natürlich alles tun, um Ihrem Vater zu helfen.«
»Das ist sehr nett von Ihnen.«
»Und damit auch Ihnen, obwohl mir Ihr Vorhaben äußerst riskant erscheint.«
»Ich bin so einiges gewöhnt.«
»Ich weiß, aber ein Bürgerkrieg ist etwas Spezielles. Außerdem hat Ihr Bruder sich freiwillig gemeldet und damit gegen geltendes dänisches Recht verstoßen. Daher gehe ich davon aus, dass er aus großer persönlicher Überzeugung gehandelt hat. Vielleicht sogar aus kommunistischer Überzeugung. Wer sagt also, dass er überhaupt mit Ihnen nach Hause zurückkehren möchte?«
Magnus nimmt einen Zug von seiner Zigarette und wartet einen Moment, ehe er den Rauch durch die Nasenlöcher entweichen lässt und mit einem leichten Husten antwortet: »Niemand. Aber ich gehe trotzdem davon aus.«
»Wenn er sich einfach mit Ihnen zusammen davonmacht, dann ist das Desertion …«
»Ja?«
»Dafür wird man im Krieg erschossen.«
»Ich lasse mir etwas einfallen. Ich bekomme ihn schon irgendwie mit nach Hause.«
»Aha. Und warum sind Sie sich da so sicher, wenn ich fragen darf?«
»Mads ist mein kleiner Bruder.«
»Und das reicht als Erklärung aus?«
»Zumindest für mich.«
»Und für Ihren Vater?«
»Das müssen Sie den Herrn Chefarzt fragen«, antwortet Magnus und drückt seine Zigarette mit kleinen, heftigen Stößen aus.
Brodersen lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Der Regen prasselt heftig gegen das Fenster, und aus dem Kachelofen ist ein lauter Knall über das leise, bullernde Geräusch aus dem Inneren des Gebäudes hinweg zu hören. Als säße ein großer, knurrender Troll im Keller, denkt Magnus.
Brodersen betrachtet ihn. »Teilen Sie die Ansichten Ihres Bruders?«, fragt er dann und hebt seine bleichen Augenbrauen.
»Ich habe seit mehr als fünf Jahren nicht mit meinem Bruder gesprochen. Damals war er fünfzehn. Ich kenne die Ansichten meines Bruders nicht.«
»Er kämpft für die Kommunisten und Seite an Seite mit ihnen.«
Magnus beugt sich vor und reicht Brodersen das Zigarettenetui, der sich diesmal eine Zigarette nimmt und ihnen beiden Feuer gibt.
»Sehr aromatisch. Echter Virginia-Tabak, direkt von Ort und Stelle, nehme ich an?« Brodersen schließt die Augen halb und zieht genüsslich an der Zigarette. Er hält sie etwas affektiert und sagt: »Wir von der Zeitung sind offiziell neutral, sympathisieren aber mit General Franco, das gebe ich gern zu. Obwohl wir alles versucht haben, konnten wir leider nicht verhindern, dass Dänemark spanische Flüchtlingskinder aufnehmen muss, aber wir unterstützen den Beschluss der dänischen Regierung voll und ganz, sich der Nicht-Interventionspolitik anzuschließen. In dem Punkt sind wir ganz auf der Linie von Ministerpräsident Stauning und Außenminister Munch. Die Großmächte dürfen sich nicht einmischen und müssendie Spanier ihre Angelegenheiten unter sich ausmachen lassen.«
»Gilt das auch für Deutschland und Italien?«
»Selbstverständlich. Ebenso wie es, wie ich in meinen Leitartikeln betont habe, für Stalin und seine dänischen Mitläufer gilt, die leider zusammen mit anderen irregeleiteten jungen Menschen zu diesen unglückseligen und von den Kommunisten dominierten Internationalen Brigaden in den Süden ziehen. Man hat mir berichtet, dass bereits eine große Zahl Dänen dorthin aufgebrochen ist und dass ihnen noch weitere folgen werden.«
»Aber es ist doch Franco, der den Aufstand gegen die legal gewählte Republik angezettelt hat. Ich wusste gar nicht, dass die Konservativen Anhänger des Aufbegehrens gegen die bestehende Ordnung sind.«
»Das sind wir natürlich auch nicht, aber in Spanien gab es keine Ordnung. Dort herrschten Anarchie, Gewalt und Gesetzlosigkeit, von Stalin gesteuert und finanziert. Das musste natürlich gestoppt werden. Es handelt sich um eine gefährliche Seuche, die jegliche vernünftige Ordnung in Europa bedroht. Sehen Sie das denn nicht so? Oder teilen Sie doch die Ansichten Ihres Bruders?« Der Redakteur sieht ihn fragend an, als könne er Magnus durch die
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