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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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wollte. Er tat mir auf einmal leid, daher nahm ich seine Handgranaten und trug sie zusammen mit meinen. Zuerst konnten wir die Artillerie noch in der Ferne hören, aber je weiter wir in Richtung Süden gelangten, desto schwächer wurde das dumpfe Dröhnen.
    Wir wussten nicht genau, wo wir uns befanden. Irgendwann wurden die Höhenzüge flacher, und wir gingen durch niedriges Gestrüpp, das grau vom Staub war. Der Staub setzte sich auf unangenehme Weise in der Kehle fest und verteilte sich unter der khakifarbenen Uniform, sodass es überall juckte. Vor uns sahen wir große Geier schweben, aber erst als wir einen kleinen Felsvorsprung passiert hatten, der an einen Adlerschnabel erinnerte, entdeckten wir die vier Leichen.
    Weder Arturo noch ich ertrugen es, sie anzusehen. Die Geier und vielleicht noch andere Tiere hatten sich während der vergangenen Nacht an ihnen zu schaffen gemacht. Von den Gesichtern war nichts mehr übrig, das man hätte erkennen können. Ich wandte mich ab und hockte mich mit dem Rücken zu den Toten hin. Bertil ging zu ihnen hinüber, kam kurz darauf zurück und sagte, es sehe so aus, als wären sie von einem Flugzeug aus erschossen worden. Eigentlich hätten wir sie begraben müssen, aber dazu war auch er nicht in der Lage. Er stand mit drei Feldflaschen in der Hand da und reichte uns je eine. Siewaren halb voll mit lauwarmem Wasser, aber es schmeckte uns trotzdem. Bertil hatte auch noch zwei Apfelsinen und etwas trockenes Brot gefunden, das in einer Metallschachtel gelegen hatte. Wir weichten es in etwas Wasser und Cognac ein, der sich in einer vierten Feldflasche befand, die Bertil ebenfalls bei den Toten gefunden hatte.
    Wir setzten uns ein Stück von den Leichen und den Fliegen entfernt hin und aßen und tranken. Die Toten hatten auch Tabak und eines von den Sturmfeuerzeugen bei sich gehabt, die sonst so schwer zu bekommen waren. Als es dunkel wurde, waren weder Mond noch Sterne zu sehen, an denen wir uns hätten orientieren können. Wir kamen zu einem Olivenhain, und Bertil übernahm die erste Wache. Es war sehr schwierig, in den Schlaf zu finden. Die Nervosität hielt einen wach. Es ist ein Gefühl, als ob der ganze Körper juckt, und beim geringsten Geräusch oder der kleinsten Bewegung wacht man wieder auf.
    Am nächsten Morgen tranken wir ein wenig Wasser, bevor wir in Richtung Süden durch die leere, schöne Landschaft weitergingen. Als die Sonne am höchsten stand, machten wir eine kleine Pause und zogen, nachdem wir den letzten Rest Wasser getrunken hatten, weiter. Am späten Nachmittag, als die Sonne schon tief im Westen stand, entdeckten wir ein Dorf am Fuße eines langen Abhangs. Am Rande der Gemeindewiese grasten einige Ziegen. Ein Hirte saß, auf seinen Stock gestützt, auf einem Stein, seinen Futterbeutel hatte er über die Schulter gehängt. Er schaute nicht zu uns herüber. Er hatte eine zerschlissene graue Jacke und eine Hose mit bauschigen Beinen an und trug eine Schiebermütze, die er sich über die Augen gezogen hatte. Sein Gesicht sah faltig und verbraucht aus.
    Das Dorf bestand aus einem Haufen grauweißer Häuser, die sich um eine kleine Kirche drängten, in der es offensichtlich gebrannt hatte. Auf dem Friedhof waren mehrere Grabsteine umgestürzt, in der Kirchenmauer befandensich Einschusslöcher. An einer Stelle war die Feldsteinmauer von Granaten oder besonders explosiven Kugeln ganz zu Schutt verwandelt worden.
    Wir waren so hungrig und durstig, dass wir unsere Angst überwanden und zum Dorf hinuntergingen. Der Hirte entdeckte uns, ging zu einem der Häuser und klopfte an. Ein dicker Mann kam heraus. Er hatte wohl eine Siesta gehalten, denn er schob seine Hosenträger mit einer langen, trägen Bewegung nach oben, bevor er seine Augen mit der Hand vor der Sonne schützte und in unsere Richtung spähte. Er drehte sich in der Türöffnung um. Kurz darauf kam eine schwarz gekleidete Frau mittleren Alters mit einem Ledersack in der Hand heraus. Als Bertil sein Gewehr sicherte, tat ich es ihm gleich. Wir streckten die rechte Faust in die Höhe, und zögernd machte der Mann mit den Hosenträgern dieselbe Geste.
    In dem Ledersack war kaltes, klares Wasser. Ich trank als Letzter in langen Schlucken, während Bertil versuchte, mit dem Mann mit den Hosenträgern zu reden, und Arturo sich mit seiner verschreckten Stimme einmischte. Der Mann mit den Hosenträgern hatte ein breites Gesicht mit einem schmalen Schnurrbart, der bis zu einem merkwürdig aussehenden Kinn

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