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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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herunterreichte. Seine Augen waren braun und lebhaft, und man sah, dass er gern lachte. Aber er hatte auch etwas Gefährliches an sich – ein Schatten von Brutalität lag auf ihm wie auf fast allen Männern im Krieg. Aber da war noch etwas anderes. Er wirkte, als trage er eine Schuld oder ein Geheimnis mit sich herum. Er schaute uns nie direkt in die Augen. Seine Frau in dem schwarzen Kleid, falls sie das überhaupt war, schaute ebenfalls weg. Der Hirte stand ein Stück von uns entfernt und stützte sich auf seinen Stab. Weiter unten auf der schmalen, staubigen Straße tauchten noch einige andere Frauen zusammen mit einem einzelnen alten Mann auf, der nur noch ein Bein hatte. Bertil drehte sich zu mirum und sagte mit einem Lächeln, der Mann sei der Vorsitzende des Arbeiterkomitees, das jetzt das Dorf regiere.
    Viel zu regieren gab es allerdings nicht, wie wir bald feststellten. Von den mehreren hundert Menschen, die hier früher gelebt hatten, waren nur noch vierzig übrig. Ich hatte nur Augen für ein paar Hühner, die umherliefen und in der Erde scharrten. Sie würden sich gut in einer Suppe machen, aber Bertil beharrte darauf, dass wir Brigadisten die Zivilbevölkerung nicht bestahlen. Trotzdem lief mir beim Gedanken an die Suppe, die man aus so einem Huhn kochen könnte, das Wasser im Munde zusammen, und ich musste an die Hühnerbrühe, gefolgt von Huhn in Spargel denken, die es zu Hause immer gab.
    Im Dorf hielten sich noch zwei weitere Brigademitglieder auf. Zu unserer Überraschung war eines von ihnen eine Frau, das andere ein Politkommissar aus dem Edgar-André-Bataillon. Er kam wie Bertil aus Schweden und hieß Olaf. Ein Schuss in den Oberschenkel hatte seinen Knochen zerschmettert. Seine graue Hose war ganz steif von dem getrockneten Blut. Er trug die bevorzugte Uniform der Politkommissare, eine schwarze Lederjacke und ein dunkles Barett, das auf seinem Schoß lag. Sein helles Haar war fettig und schien an seiner Kopfhaut festzukleben. Er war zweiundzwanzig Jahre alt. Er trug auch die Waffe bei sich, die den politischen Offizieren unverkennbar ihren Status und ihre Macht verlieh: eine wuchtige 9-mm-Automatikpistole.
    Bertil kannte ihn nicht, aber sie begrüßten einander überschwänglich. So war das nun mal. Traf man einen Landsmann, dann freute man sich und holte erst einmal den Tabak heraus.
    Die Frau war Deutsche und hieß Ute. Sie gehörte als Dolmetscherin und Berichterstatterin zu einer der Brigaden. Bertil meinte später, sie arbeite als Agentin für die Komintern oder eine der richtig geheimen Organisationen,die den Russen unterstanden. Sie hatte ein merkwürdiges Gesicht, es war nicht hübsch, aber dennoch anziehend, weil es so charakterstark aussah mit der hohen Stirn, dem vollen Mund und den intensiven hellblauen Augen, die weit auseinanderstanden. Sie trug ihr blondes Haar mit den weichen Wellen kurz geschnitten, und ihre Haut war so hell, als würde die sengende Sonne sie niemals erreichen. Sie war um die dreißig, und in dem blauen Overall wirkte ihre Figur rundlich und beinahe klobig.
    Als sie lächelte, war es, als breche die Sonne an einem dunklen Tag hervor. Sie sprach ein schnelles Spanisch, aber ich antwortete auf Deutsch, denn das hatte ich sie mit dem Kommissar sprechen hören. Ich sah, dass er starke Schmerzen haben musste. Er versuchte, sie mithilfe von Cognac in Schach zu halten.
    Ich war kein Freund der Kommissare. Die schwedischen oder dänischen waren nicht so schlimm wie die deutschen, für die Disziplin das Allerwichtigste war, aber sie waren alle miteinander Kommunisten und predigten das, was die Chefs ihnen vorgaben. In den Soldatenbüchern der Freiwilligen wurde bei dem Punkt Parteizugehörigkeit immer nur Antifaschist angegeben, aber es waren die Kommunisten, die das Kommando hatten. Das war wohl auch nur recht und billig. Schließlich unterstützte die Sowjetunion uns mit Geld und Waffen und beriet uns auch sonst in allen Fragen.
    Ute hatte eine tiefe, weiche Stimme. Sie erzählte, dass sie ursprünglich zu viert unterwegs gewesen seien. Vor ein paar Tagen hätten sie dann jedoch zwei Mann losgeschickt, um Hilfe zu holen und eine Transportmöglichkeit für Olaf zu organisieren.
    Sie hatten Olafs Bett vor dem aufgebaut, was einmal der Altar gewesen war. Das Bett sah aus, als stamme es aus einem ärmlichen Schlafzimmer. Die Matratze war alt und zerschlissen und sank in der Mitte ein. Die Hälfte derKirchenbänke war nicht mehr da. Und die übrigen wiesen deutliche

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