Die Wahrheit stirbt zuletzt
deinen geliebten Bruder zu denken. So ist er nur ein tapferer Soldat unter vielen in einem gerechten Krieg.«
Er sieht, dass seine Äußerung sie enttäuscht und wütend macht, kann es aber nicht lassen und fährt mit einer Stimme fort, die spöttischer klingt, als er es eigentlich beabsichtigt hat: »Siehst du das denn nicht? Mads kämpft auf der Seite der Verlierer. Sie haben keine Chance gegen die Deutschen und die Italiener und Francos Marokkaner und die Fremdenlegion. Siehst du das denn wirklich nicht? Leute wie Mads gegen gut ausgebildete, professionelle Soldaten! Das ist doch nur eine Frage der Zeit. Es ist eine sinnlose Verschwendung von Menschenleben.«
Sie trinkt einen Schluck von ihrem Whisky und verschluckt sich daran. Er will ihr auf den Rücken klopfen, aber sie windet sich los, dreht den Kopf weg und hustet ein paar Mal.
»Das Einfachste im Leben, Magnus«, sagt sie, als sie ihre Stimme weitgehend wieder unter Kontrolle hat. »Das Einfachste und Bequemste ist es, nur an sich selbst zu denken. Das hast du schon immer gut gekonnt. Und jetzt möchte ich mich gern schlafen legen.«
»Du kannst die Flasche behalten.«
»Nein, danke. Du brauchst sie vielleicht noch, wenn du liest, was Mads geschrieben hat.« Sie reicht ihm einen kleinen Stapel dicht beschriebener Seiten zusammen mit der Whiskyflasche.
»Gute Nacht, Schwesterherz«, sagt er und verlässt das Zimmer. Marie schließt ohne ein Wort die Tür hinter ihm.
7
Der Deserteur und die badende Frau Von Mads Meyer
A rturo lag zwischen Bertil und mir, als sich die drei deutschen Bombenflugzeuge im Tiefflug näherten. Das Brummen, das zu einem gewaltigen Lärm anschwoll, als sie über uns hinwegflogen, riss mich aus meinem kurzen, unruhigen Schlaf. Die Morgensonne blitzte in den Cockpitscheiben auf, und sie glitten so tief über uns hinweg, dass wir die Gesichter der Piloten erkennen konnten. Sie sahen uns aber nicht und schwebten schnell über den Olivenhain davon. Trotzdem machte Arturo in die Hosen, und der Gestank stach mir in die Nase, als ich mein Gesicht zu spät in den roten Kies steckte. Bertil fluchte auf Schwedisch und rammte dem kleinen Spanier die Faust gegen die Schulter, woraufhin der zu schluchzen begann. Bertil war ein groß gewachsener, magerer Mann Mitte zwanzig mit großen, knochigen Händen, und die Knochen an der einen Hand leuchteten weiß, als er sein Gewehr mit festem Griff packte. Die andere Faust schlug auf Arturos Schulter ein, während er diesen zur Hölle wünschte.
Bertil kam aus Kiruna ganz oben im Norden von Schweden und hatte sich als Freiwilliger gemeldet, weil er es satthatte, arbeitslos zu sein, und weil er Väterchen Stalin mochte. Er war seit der Verteidigung Madrids dabei gewesen, daher hielt ich mich an ihn.
Arturo hatten wir am Tag zuvor aufgesammelt, als wirvom Rest der Kompanie isoliert worden waren. Er stammte aus einer der spanischen Heeresabteilungen und hatte eine der neuen khakifarbenen Uniformen an, die wir jetzt alle tragen. Er hatte sein Gewehr bei sich, von daher nahmen wir nicht an, dass er desertieren wollte. Er war wahrscheinlich einfach nur verloren gegangen, so wie wir auch. Bertil konnte ein bisschen Spanisch, aber jedes Mal, wenn er versuchte, ein Gespräch mit Arturo zu führen, fing dieser an zu weinen. Er war ein kleiner Mann, sicher nur wenig älter als Bertil, aber er sah aus wie vierzig mit seinem mageren, ängstlichen Gesicht. Er war einberufen worden, hatte sich also nicht freiwillig gemeldet.
Zwei Tage zuvor waren wir bei gleißendem Sonnenschein zusammen mit den anderen aus unserem Bataillon und ein paar Kompanien aus dem stehenden spanischen Heer die Hänge hinauf vorgerückt. Wir bildeten die äußerste Flanke des koordinierten Angriffs, den wir im Morgengrauen begonnen hatten. Francos italienische Hilfstruppen waren vor uns geflohen. Ihre Toten und Verletzten lagen hier und da in der Landschaft herum.
Der Gestank von Scheiße schlug uns aus durchlöcherten Gedärmen entgegen, als wir zwischen den Leichen umherliefen und die Schreie und Hilferufe der Verwundeten ignorierten. Wir erreichten die Kuppe des Hügels und konnten die gesamte Gegend überblicken, die sich im Hitzedunst seltsam schön vor uns erstreckte. Wir sahen den grauen Pulverdampf, den Rauch von angesengten Olivenbäumen und drei Panzer, die in Brand geschossen worden waren. Die italienischen Soldaten ließen alles stehen und liegen. Sie liefen davon, so schnell sie konnten, während wir in Stellung gingen und
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