Die Wahrheit stirbt zuletzt
Brigaden mitkämpften. Es gebe sowjetische Berater, aber keine Freiwilligen. Stalin sei dagegen. Das kann Svend nicht verstehen. Sie könnten ihre Reihen doch wunderbar mit motivierten Arbeitern aus der neuen sozialistischen Nation verstärken.
Er will es nicht hören, wenn Magnus mit dem Zynismus der Realpolitik kontert. Svend hält an der Vorstellung fest, die sowjetischen Truppen würden im Gleichschritt an die Front marschieren, »Die Internationale« singen und damit das Kriegsglück ein für alle Mal zu ihren Gunsten wenden.
Er hört Svends Stimme durch den monotonen Rhythmus der Räder auf den französischen Schienen hindurch: »Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt so lange standgehalten haben. Wir brauchen dringend vernünftige Waffen. Die spanische Regierung hat ihr ganzes Gold nach Moskau geschickt, damit wir in Frankreich und Großbritannien Waffen kaufen können, und ein bisschen militärisches Material bekommen wir ja auch, aber aufgrund der Blockade, die man gegen uns verhängt hat, nicht genug. Wir bekommen, Stalin sei gedankt, einiges von der Sowjetunion, aber das reicht nicht. Und die Qualität entspricht nicht dem, was die Deutschen schicken, muss ich leider sagen.«
»Was hat es mit diesem spanischen Gold auf sich?«, hatte Magnus gefragt, und Svend hatte weggeguckt und gesagt: »Es kursieren so viele Gerüchte. Es heißt, zu Beginn des Krieges habe die Regierung in Madrid das gesamte spanische Gold, das in der Nationalbank in Madrid lag, nach Cartagena gebracht, das als der sicherste Hafen der Republik gilt. Von dort wurde es nach Odessa verschifft und weiter nach Moskau. Das war im September letzten Jahres. Man fürchtete, Franco sei kurz davor, Madrid zu erobern, und zugleich hatte man Angst davor, dieAnarchisten könnten die Nationalbank stürmen. Überall herrschte Chaos.«
»Um wie viel Geld ging es dabei?«
»Auch darüber kursieren die wildesten Gerüchte, Magnus. Viele, viele Kisten voll mit Gold und Silber. Darüber spricht man nicht gern. Die Propaganda möchte es natürlich lieber so darstellen, als unterstütze Stalin den Kampf ganz uneigennützig. Als handele es sich dabei um internationale Solidarität.«
»Tausende? So viele?«
»Das behaupten zumindest einige. Ich weiß es nicht. Jetzt befindet sich das meiste davon jedenfalls in Moskau. Es ist doch höhere Gerechtigkeit, dass das Geld jetzt in einem Land gelandet ist, in dem die Arbeiter an der Macht sind.«
Er sitzt in seinem Abteil und denkt an Svends Worte und daran, dass die Dinge selten so sind, wie sie an der Oberfläche zu sein scheinen. Es verbirgt sich immer noch etwas anderes darunter, irgendwelche Zweideutigkeiten und Geheimnisse. Die eine Wahrheit gibt es nicht. Jede Seite hat ihre Kehrseite. Und Gerechtigkeit gibt es auch nicht. Er denkt über seine Grundüberzeugung nach, dass das Leben eine einzige Kette von Zufällen ist, in die die Menschen verwickelt werden. Doch dann muss er über seine eigene Überheblichkeit lachen. Wirft er hier nicht mit bloßen Behauptungen um sich, während er so tut, als handele es sich dabei um ewige Wahrheiten?
10
M agnus Meyer landet am späten Nachmittag in Valencia. Ihm dröhnt der Kopf von dem gewaltigen Lärm des in Deutschland gebauten Propellerflugzeuges, das ihn von Paris via Toulouse über das Mittelmeer nach Valencia gebracht hat.
Als sie das Meer überquerten und an der spanischen Küste entlangflogen, hatte sein Herz, wie das der anderen Passagiere vermutlich auch, schneller geschlagen. Alle wussten, dass die Luftwaffe der Nationalisten viel stärker war als die der Republik und dass unzählige zivile Maschinen bereits abgeschossen worden waren. Es war in jeder Hinsicht ein Krieg ohne Regeln.
Das Meer hatte blau und einladend unter ihm gelegen. Er konnte sehen, wie zwei graue Kriegsschiffe fünf Frachtschiffe in Richtung Cartagena eskortierten, das, wie er inzwischen wusste, der wichtigste Hafen der Republik an der Ostküste war. Die Stadt war mehrfach von der deutschen Legion Condor bombardiert worden, diente aber nach wie vor als logistischer Knotenpunkt. Dort kam der Großteil der sowjetischen Waffen an, die Stalin der bedrängten legal gewählten Regierung schickte, die gerade Gefahr lief, endgültig von Francos Aufständischen besiegt zu werden.
Er empfand große Erleichterung, als er Valencia immer deutlicher erkennen konnte, erst das Flussdelta vor den gelben und roten Dächern der Stadt und dann das Land, eine ausgedehnte Ebene mit diesigen Bergen im
Weitere Kostenlose Bücher