Die Wahrheit stirbt zuletzt
von all den Ermordungen. Unsere Seite hat Priester ermordet und alle, von denen wir glaubten, sie seien Faschisten oder Mitläufer. Die Gegenseite ist auch nicht besser. Sie ist sogar noch schlimmer, wenn sich so etwas noch steigern lässt. Der Blutrausch aufseiten der Regierung wurde nach den ersten wilden Wochen beendet, aber aufseiten der Nationalisten wird er noch immer fortgesetzt. Sie erschießen alle, gegen die sie auch nur das geringste Misstrauen hegen. Dieses Volk liebt den Tod. Und es ist unwissend, Magnus. Die Hälfte der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben. Die Armut ist so groß, dass es wehtut. Die ganze Sauerei tut weh. Pass auf dich auf da unten. Wenn sie auch nur den geringsten Verdacht haben, du könntest ein Spion sein, dann erschießen sie dich.«
Er fasst Meyer am Arm und schaut ihm in die Augen und sagt mit einer Stimme, die beinahe zittert: »Deswegen möchte ich, dass Mads zurückkommt. Er ist zu anständig. Er ist ein Dichter. Es kann ein großer Autor aus ihm werden. Er ist viel zu jung und viel zu gut, um in diesem Dreck umzukommen. Zuerst wollte ich euch helfen, weil Marie mich darum bat, aber jetzt nicht mehr. Jetzt mache ich es genauso sehr um meiner selbst willen. Verstehst du, was ich sage?«
»Ja, Svend. Ich verstehe, was du sagst. Du hoffst und glaubst, wenn du Mads retten kannst, dann kannst du damit auch deine eigene verlorene Seele erlösen. Aber diese Rechnung geht selten auf. Das Leben ist keine Gleichung, für die man den Wahrheitsbeweis führen kann.«
2. Teil
Spanien, Herbst und Winter 1937
The Spanish Civil War was the happiest period of our lives. We were truly happy for when people died it seemed as though their death was justified and important. For they died for something that they believed in and that was going to happen.
Ernest Hemingway im Vorwort zu Gustav Reglers Buch ›The Great Crusade‹
9
S vend fuhr nach Aalborg, und Magnus und Marie taten, als wäre er nichts als eine sonderbare Parenthese in ihrem Leben gewesen. Abends traf Magnus Marie im großen Garten des Sanatoriums. Sie stand unter der Blutbuche und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Am zweiten Abend regnete es, aber sie blieb trotzdem draußen stehen. Unter den fast nackten Bäumen sah sie aus wie eine dunkle und dennoch leuchtende Geisterfee.
Magnus kümmerte sich um seine Fahrkarten und Papiere. Er packte seine braune Lederreisetasche und eine Schultertasche und stieg in den Zug in Richtung Süden und fuhr nach Deutschland. Marie hatte ihm einen Kuss gegeben. Der Chefarzt hatte ihm förmlich die Hand gereicht, sie fest gedrückt und gesagt: »Möge Gott dich beschützen und Mads und dich unversehrt nach Hause bringen.«
Es war das erste Mal, dass der Vater den Namen seines jüngsten Sohnes erwähnte. Magnus hatte ihm in die Augen geblickt und kurz überlegt, etwas zu sagen, es dann aber doch gelassen. Es gab zu viele ungesagte Worte zwischen ihnen, als dass es möglich wäre, mit einem einzigen Satz eine Brücke über jenen Abgrund des Misstrauens zu schlagen, das das eigentliche Fundament ihrer Beziehung ausmachte.
Im Zug, der jetzt durch die flache Landschaft in Richtung Paris fährt, hört er Svends angenehme Stimme so deutlich vor seinem inneren Ohr, als säße er ihm gegenüber im Abteil: »Wir haben die Dichter auf unserer Seite. Von ihnen hören wir natürlich viel. Sie sind des Wortesmächtig. Und es sind die Richtigen, die zu uns halten. Hemingway, Malraux, Nexø, der große Russe Ilja Ehrenburg. Ihre Propaganda hat eine große Bedeutung, auch wenn sie die schädliche Nicht-Interventionspolitik, die Dänemark und die großen Westmächte vertreten, bisher nicht abwenden konnten. Wir brauchen Waffen. Wir brauchen moderne Waffen. Es gibt auch Dichter und Intellektuelle, die in den Schützengräben kämpfen, Magnus. Dein kleiner Bruder ist einer von ihnen, anständige Menschen. Daran besteht kein Zweifel. Aber es sind Arbeiter aus Europa und den USA, die den Großteil der Internationalen Brigaden ausmachen. Ganz gewöhnliche Arbeiter aus den Fabriken und Minen. Sie sind es, die die Kugeln abbekommen, aber den Dichtern wird die allgemeine Aufmerksamkeit zuteil. Wir befinden uns in einer weltumspannenden Krise. Das weißt du. Es ist schrecklich, aber die Krise beschert uns gute Kämpfer in Spanien. Man ist es leid, jung und untätig zu sein. Dann schon lieber auf nach Spanien an die Front.«
Magnus hört seine ruhige Stimme mit dem großen Wortschatz, die
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