Die Wahrheit stirbt zuletzt
irgendwie gar nicht zu seinem Äußeren passt, zu seiner abgetragenen Kleidung, seiner Schiebermütze und seiner einen groben Hand mit den breiten Fingernägeln.
Er schließt seinen einarmigen Freund immer mehr ins Herz. Er vertraut ihm intuitiv und kann sich nicht erklären, wie das kommt. Normalerweise wahrt er immer einen gewissen Abstand zu anderen Menschen, aber in diesem Fall entscheidet er sich dafür, zuzuhören und Svends Ausführungen beinahe blind zu akzeptieren, solange sie mit dem Zustand im bürgerkriegsgeplagten Spanien zu tun haben. Vielleicht weil Svend seine einzige direkte Verbindung zu Mads ist. Vielleicht weil er sich nach einem Freund und Vertrauten sehnt.
Magnus erinnert sich an das, was Svend bei ihrem Spaziergangam Fluss sagte, als Magnus beiläufig erwähnte, dass er als Kind an diesem Fluss gespielt habe: »Ich kann mich nicht erinnern, was Spielen bedeutet. Ich habe als Siebenjähriger angefangen zu arbeiten, und das Schlimmste ist, dass meine Kinder wahrscheinlich dasselbe tun werden.« Er hatte es ohne Verbitterung gesagt, nur mit Resignation in der Stimme. Weil seine Kirche ihn im Stich gelassen hat?
Im Zug dreht und wendet Magnus seine Worte. Warum interessiert er sich so sehr für die Lage eines einzelnen Arbeiters? Wenn man sich eng an andere Menschen bindet, mündet das mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in eine Katastrophe. Davon war er zumindest früher einmal überzeugt. Er kommt zu keinem Ergebnis und schiebt diese Gedanken beiseite, weil sie mal wieder die unangenehme Angewohnheit haben, sich aufzudrängen, am frühen Morgen oder wenn er so wie jetzt untätig in einem Zugabteil sitzt.
Stattdessen erinnert er sich an Svends Worte über die furchteinflößenden Feinde, gegen die Mads und die anderen antreten müssen.
Die Schlimmsten sind die sogenannten »Regulares«, das sind professionelle marokkanische Soldaten, die Franco aus den Militärlagern in Nordafrika mitgebracht hat. Sie schreien wie die Verrückten, wenn sie zum Angriff übergehen, und sie kennen keine Gnade gegenüber den Verwundeten. Beinahe ebenso gefürchtet ist die spanische Fremdenlegion, deren Grausamkeit der der Marokkaner durchaus gleichkommt. Sie besteht größtenteils aus Spaniern, häufig sind es frühere Kriminelle und andere brutale Teufel, sagt Svend. Dann gibt es noch Francos italienische Hilfstruppen, die nicht so mutig sind, wie sie selbst glauben, und schließlich noch die kalten deutschen Einheiten, insbesondere die Legion Condor, deren Bombenflugzeuge selbst den tapfersten Brigadisten wahre Todesangsteinjagen. Gewöhnliche spanische Soldaten sind ebenfalls unter ihnen, aber viele kämpfen nur halbherzig mit. Sie sind wehrpflichtig ebenso wie die Wehrpflichtigen der Republikaner und würden sich dem Ganzen am liebsten entziehen. Ihnen geht es vor allem darum, möglichst bald in ihre staubigen Dörfer mit den verfallenen Lehmhäusern und der trostlosen Armut zurückzukehren.
Aufseiten der Republik steht ihnen ein bunt gemischter Haufen zersplitterter Heereskräfte gegenüber. Es gibt das stehende Heer, das im Wesentlichen aus Wehrpflichtigen besteht. Die sowjetischen Berater versuchen, sie zu disziplinieren. Daneben gibt es die vielen unterschiedlichen Milizgruppen, die Anarchisten und die Syndikalisten, die jetzt unter der Führung der Sowjets von der Republik bekämpft werden. Die Republik verwendet beinahe genauso viel Energie auf ihre internen Streitereien und Auseinandersetzungen wie auf den Kampf gegen den Feind. Ihre Streitigkeiten spiegeln die Zersplitterung der gesamten kommunistischen Bewegung wider, über die die Sowjetunion mithilfe der Komintern die Oberherrschaft erlangen will.
Eine zerstrittene Kirche hatte Magnus gesagt, und Svend hatte ihm widerwillig zustimmen müssen.
Und dann gibt es da noch die Internationalen Brigaden, die ebenfalls von Zersplitterung betroffen sind, da die deutschen Freiwilligen Disziplin fordern, während es den übrigen Mitgliedern darum geht, eine militärische Kraft ohne Hierarchien zu bleiben, in der man als Kameraden agiert und nicht als Offiziere und untergeordnete Soldaten.
Es habe angefangen wie ein Traum, hatte Svend gesagt, ein idealistischer Traum, aber dafür sei jetzt kein Platz mehr. Wenn man den Krieg gewinnen wolle, seien militärische und politische Disziplin erforderlich. Das muss auch Svend zugeben. Eine Sache erstaunt ihn sehr. Er wiederholtmehrmals, dass er nicht verstehe, warum die jungen Russen nicht als Freiwillige bei den
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