Die Wahrheit stirbt zuletzt
waren, weilsie hofften, hier Unterstützung zu erhalten, um in Katalonien überleben zu können. Sie hatten Joe von Kämpfen zwischen den verschiedenen republikanischen Fraktionen in der Stadt berichtet.
Die Frauen drehen sich rasch um, als sie die lauten Stimmen hören, verlieren aber schnell das Interesse und setzen ihre Unterhaltung fort. Magnus weiß nicht, warum, aber er hat keine Lust, sich als Däne zu erkennen zu geben. Die Frauen reden über einen Mann, den sie offenbar beide kennen. Sie nennen ihn einen Mistkerl. Die Frauen haben etwas Zerbrechliches an sich, als bekämen sie zu wenig zu essen, aber zugleich liegt eine Härte in ihren Augen und ihrer gesamten Mimik, die Magnus abstößt. Sie bemerken, dass er zu ihnen hinüberschaut, und eine von ihnen sagt auf Norwegisch: »Können wir dir helfen, Kamerad?«
Magnus zuckt fragend mit den Schultern und deutet mit einem Kopfnicken an, dass er auf den großen Amerikaner wartet, woraufhin die Frauen mit ihrem Gespräch fortfahren.
»Fuck them all«, sagt Joe, geht mit seinen abgestempelten Papieren zur Kasse und bezahlt. Dann reicht er die beiden Bögen, auf denen ein Abschnitt mit Rot durchgestrichen ist, einem Spanier, der ebenfalls Pesetas von ihm entgegennimmt, bevor er sich umdreht und Mercers Text zu telegrafieren beginnt. Währenddessen hört Magnus, wie ein britischer Journalist mit den Zensoren zu diskutieren beginnt. Mercer erhält seine Bögen zusammen mit einer Quittung zurück, die ebenfalls ordnungsgemäß abgestempelt ist.
»Komm, Magnus. Die können mich mal am Arsch lecken, aber stoppen können sie mich nicht. Ich habe eine längere Version mit der Post geschickt, jetzt kann ich nur hoffen, dass sie durchkommt. Lass uns essen gehen und uns danach betrinken.«
Das tun sie. Sie essen zuerst ein großes Stück Lammfleischmit weißen Bohnen, die in Olivenöl schwimmen, und trinken jeder eine Flasche säuerlichen Rotwein, anschließend ziehen sie von Bar zu Bar und trinken Cognac. Magnus kann sich nicht richtig erinnern, worüber sie bis spät in die Nacht gesprochen haben. Am Ende ist Joe Mercer jedenfalls sehr betrunken. Er verträgt zwar eine Menge, trinkt aber definitiv zu viel, während Magnus rechtzeitig aufgehört hat. Magnus merkt, dass er selbst auch ein wenig angetrunken ist, aber er wird trotzdem auf keinen Fall vergessen, was er gerade über das spanische Gold erfahren hat. Und auf einmal begreift er, was möglicherweise Joe Mercers wahre Mission ist.
11
M agnus ist aufgefallen, dass Joe trotz seines Gewichts weniger Alkohol verträgt als er selbst, was dazu führt, dass er sehr viel redet. Magnus weiß bereits, dass Joe als Sohn eines Chicagoer Bankdirektors behütet aufgewachsen ist, dass Joes Frau eine »bitch« war und dass er gern wieder heiraten würde. Magnus denkt, dass eine behütete Kindheit den Menschen viel zu großes Zutrauen in ihre Mitmenschen einflößt. Vertrauen ist gefährlich, findet er. Schon als Kind schenkt man seinen Eltern Vertrauen, und wozu führt das? Zu Bestrafung und Betrug. Man schenkt einer Frau sein Vertrauen, die lässt einen im Stich, und dann sitzt man allein da mit seinem Schmerz. Man hat einen Freund, den umzubringen man gezwungen ist, nur weil dieser Freund sich dafür entschieden hat, die Ehre seiner Schwester zu verteidigen, obwohl er damit die Freundschaft verrät. Mit Ausnahme seiner Schwester Marie vertraut er keinem Menschen. Mads war noch ein Junge, als Magnus von zu Hause abgehauen ist.
Er lauscht Joe Mercers Geschichte, die dieser ihm leise und leicht nuschelnd, aber dennoch zusammenhängend in dem niedrigen Raum der verrauchten Bodega erzählt, in dem sie von betrunkenen jungen Männern in Uniform und müden Prostituierten umgeben sind, über deren verlebte Gesichtszüge nicht einmal das gedämpfte Licht einen tröstenden Schleier legen kann. Draußen regnet es – der erste Regen, den er in Spanien erlebt. Er kam ganz plötzlich aus schwarzen Wolken, die vom Meer herübergezogen waren, und sie hören den Donner wie ferne, grollende Kanonenschüsse über den Lärm des Wirtshauses hinweg.
Gleich zu Beginn des Krieges rückten Francos marokkanische Truppen und seine Fremdenlegion nach Madrid vor. Sie brachten bereits Kampferfahrung aus den Kolonialkriegen in Nordafrika mit. Die Republik kämpfte darum, eine vernünftige Verteidigung auf die Beine zu stellen, während sich überall in Spanien Generäle und Zivilgardisten dem Putsch anschlossen. Die Regierung sah keinen anderen
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