Die Wahrheit stirbt zuletzt
erzählen. Olaf war sein Politkommissar und hatte etwas von einem Beichtvater, dem die Menschen sich gern anvertrauen. So wie dir.«
Mercer beugt sich über den Tisch. Er wirkt nicht mehr ganz so betrunken, und Magnus überlegt, ob das Ganze womöglich nur gespielt ist, um ihn herumzukriegen. Falls das der Fall sein sollte, ist Joes Plan aufgegangen, denn er ist vollkommen in den Bann geschlagen von der Geschichte, die Joe jetzt weitererzählt.
»Olaf starb, möge Gott seiner Seele gnädig sein, und dann habe ich angefangen, ein bisschen rumzuschnüffeln. Darin bin ich gut. Mein Vater und unser Verleger haben viele Verbindungen, ich kann also eine ganze Menge Quellen anzapfen. Ich habe einen Onkel, der für das amerikanische Justizministerium arbeitet und gute Kontakte zu seinen spanischen Kollegen hat. Er kannte ausgerechnet den Kollegen, der die Untersuchung des Vorfalls mit den beiden verschwundenen Goldkisten geleitet hat. Die Zeiten sind hart, und für ein paar anständige Dollars war er gern bereit, mir behilflich zu sein. Es gibt nicht besonders viele spanische Beamte, die Englisch sprechen, also hat er mir die Namen der Männer gegeben, die am Transport beteiligt waren und die Englisch können. Es waren nur zwei. Der eine von ihnen ist bereits tot. Klingt fast nach einer ansteckenden Krankheit, was? Der andere ist mit einem Stapel Geheimpapiere, die er für wertvoll genug hielt, um sich ein friedliches Leben hinter der Front zuerkaufen, nach Malaga abgehauen. Er war also ein Verräter und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er war wohl davon ausgegangen, bis zum Ende des Krieges in Malaga auszuharren und anschließend seine beiden Goldkisten abzuholen. Aber so spielt das Leben nun mal nicht. Seine neuen Freunde wollten sicher gehen, dass er kein Doppelagent war. Daher unterzogen sie ihn zur Sicherheit einem Verhör dritten Grades, dem sein Herz leider nicht standgehalten hat.«
»Und das hat dir der Gouverneur erzählt?«
»Er hat es nicht direkt gesagt, aber er hat mir erzählt, wenn der Krieg zu Ende sei, könne zumindest ein Teil des spanischen Goldes, das Stalin gestohlen habe, ins Vaterland zurückkehren. Weil es das Vaterland nie verlassen habe, sondern sich noch immer in Cartagena befinde. Wo genau, das wisse er auch nicht. Leider. Er ist ein sadistisches Schwein, das Mozart liebt, aber er ist ehrlich. Das kann er sich leisten bei all dem Geld, das seine Familie besitzt.«
»Soweit ich weiß, ist Cartagena eine ziemlich große Stadt.«
»Mit deinen Spanischkenntnissen können wir zumindest die erste Hürde problemlos nehmen.«
»In welchem Umfang bist du eigentlich als Spion für die USA tätig?«
»Was meinst du denn damit?«
»Falls wir das Gold finden, gibt es dann noch einen Dritten, mit dem wir es teilen müssen?«
»Ich bin Freelancer. Es ist eine reine Privatangelegenheit, eine Sache zwischen dir und mir.«
»Zwischen zwei Dieben?«
»Wer sollte den Diebstahl schon der Polizei melden? Schließlich wurde das Diebesgut schon einmal gestohlen und existiert eigentlich gar nicht mehr. Offiziell ist das Gold in Russland. Diejenigen, die die Wahrheit kennen, sind eigentlich alle tot. Herrgott noch mal, Mann. Es gehthier gerade mal um hundertzwei Kilo von insgesamt fünfhundertzehn Tonnen. Aufs Ganze gesehen ist das doch fast gar nichts.«
»Das sagst du so. Aber du hast natürlich recht. Abgesehen von dir sind also alle tot?«
»Und abgesehen von dir, Magnus.«
»Es stand nämlich in einer der spanischen Zeitungen, Joe.«
»Was stand da?«
»Das Schicksal des Gouverneurs. Sie haben es als Sieg für die Republik gefeiert. Er wurde mit einer Kugel im Kopf tot aufgefunden – eindeutig eine Liquidierung. Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht, als ich den Artikel gelesen habe, aber jetzt erhält er auf einmal eine andere Bedeutung, nicht wahr?«
Joes Gesichtsausdruck wird plötzlich hart. Es wirkt, als falle die Betrunkenheit von ihm ab und ein anderer Ausdruck komme zum Vorschein. »Das spielt doch überhaupt keine Rolle für unseren Plan, Meyer. Und es geht dich außerdem nichts an. Ich will einfach nur wissen, ob du dabei bist oder nicht.«
Magnus hält Joes Blick stand. Sie sitzen eine Weile da und taxieren einander. Magnus senkt zuerst den Blick, dann nimmt er sein Glas und sagt: »Lass uns auf unsere Zusammenarbeit anstoßen.«
»Salud«, sagt Joe und schaut weg.
»Aber ich muss trotzdem zuerst meinen Bruder finden.«
»Wenn es sein muss.«
»Ja, es muss sein. Ich
Weitere Kostenlose Bücher