Die Wahrheit stirbt zuletzt
Ausweg, als die Gewerkschaften und die Parteien und politischen Gruppierungen des linken Spektrums zu bewaffnen.
Anarchistische Milizen tauchten auf und verstaatlichten den Grund und Boden der Gutsbesitzer und die Fabriken der Kapitalisten. Spanien befand sich in einer Revolution. Wer würde Madrid erobern? Die Faschisten? Oder würde die Hauptstadt sich der Anarchie der Milizen ergeben müssen? Das war die große Frage, der sich die legal gewählte Volksfrontregierung zu Beginn des Herbstes 1936 stellen musste.
Die Republik benötigte dringend Waffen. Frankreich und Großbritannien wollten diese nur gegen Barbezahlung liefern, und auch das nur ungern. Es gelang der Republik, in Frankreich einige Waffen zu kaufen, die Spanien mit Gold bezahlte, aber es wurde bereits an der Nicht-Interventionspolitik gefeilt, sodass der Waffenexport bald gestoppt wurde. Die Faschisten bekamen Männer und Waffen aus Mussolinis Italien und Hitlers Deutschland. Nur Stalins Sowjetunion war bereit, den loyalen spanischen Heereseinheiten und den freiwilligen Brigaden, die sich jetzt bildeten, Waffen zu liefern. Aber auch Stalin wollte Geld für seine Waffen, für seine technischen Geräte und die politischen und militärischen Ratgeber. Und die spanische Regierung hatte ein Vermögen im Keller der Nationalbank in Madrid liegen. Dort befand sich nämlich das spanische Gold.
Magnus erinnert sich auf einmal an das, was Svend Poulsenihm in Dänemark über dasselbe Thema erzählt hat. Er hätte Svend besser zuhören sollen.
»Magnus«, nuschelt Mercer, »du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Gold das war. Spanien hat die viertgrößten Goldreserven der Welt. Die Konquistadoren plünderten und beraubten Lateinamerika mehrere Jahrhunderte lang. Und was für ein Gold! Nicht nur langweilige Goldbarren, sondern alle möglichen Wertgegenstände: Münzen, Dukaten, Schmuck, Trinkbecher, Vasen, das, was man ›Sovereigns‹ nennt, Gold- und Silbermünzen in allen Größen. Unglaubliche Azteken- und Inkaschätze. Eine Goldsammlung, die nicht nur wertvoll ist, weil es sich dabei um Gold handelt, Kamerad. Nein. Ihr Wert ist noch viel größer, weil es zugleich eine Sammlung von Kunstschätzen ist.
Die Regierung war also verständlicherweise nervös. Gelänge es Franco, das Gold zu stehlen, könnte die Regierung einpacken. Nähmen die Anarchisten die Nationalbank ein, wäre nicht vorherzusehen, was sie mit dem Gold machen würden. Anarchisten sind von Natur aus unberechenbar. Das war der Beginn der Operation Wüstenschiff.«
Mercer leert sein Glas, sieht Magnus mit glasigen Augen an und fährt fort: »Im September 1936 hörte der neue Premierminister Largo Caballero Gerüchte, die Anarchisten wollten die Nationalbank stürmen. Er befahl seinem Finanzminister, die Goldreserven der Bank an einen sichereren Ort zu verlegen. Bereits wenige Tage später wurden die Goldreserven unter strengster Geheimhaltung auf Eisenbahnwaggons verladen. Das war eine große Herausforderung. Das Gold und auch die Silberreserven wurden in zehntausend Kisten gepackt und in die sicherste Stadt auf republikanischer Seite geschickt: nach Cartagena, das am Mittelmeer liegt und das Hauptquartier der spanischen Flotte ist. Der Zug wurde von bewaffneten spanischenWächtern und Männern vom NKWD begleitet, Stalins Geheimdienst. Ein Russe hat die ganze Aktion geleitet, aber man hatte ihm falsche Papiere besorgt, die besagten, er sei Mr Blackstone von der Bank of America. Ein Viertel der Kisten wurde sofort auf ein Frachtschiff verladen, das in Richtung Marseille aufbrach. Am 25. Oktober wurde der Rest – insgesamt siebentausendachthundert Kisten – auf ein anderes Frachtschiff verladen, das nach Odessa in der Ukraine fuhr. Von dort aus wurden die Kisten mit dem Zug nach Moskau weitertransportiert, wo sie von Repräsentanten der spanischen und russischen Regierung in Empfang genommen wurden. Alles in allem handelte es sich dabei um fünfhundertzehn Tonnen Gold und Silber. Seitdem wurden damit die sowjetischen Waffenlieferungen bezahlt. End of story. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
Joes Blick ist der eines Schuljungen, der bereut, eine etwas zu abenteuerliche Geschichte erzählt zu haben. In den progressiven Zeitungen Dänemarks und Spaniens war zu lesen, dass die Sowjetunion Spanien uneigennützig im Kampf gegen den Faschismus unterstützt. Magnus erwägt, eine der vielen Fragen zu stellen, die sich ihm aufdrängen, nippt stattdessen aber an seinem Brandy und wartet auf
Weitere Kostenlose Bücher