Die Wahrheit stirbt zuletzt
Waschschüssel auf einem wackeligen Tischchen und einen Nachttopf unter dem Bett, aber die Zimmer sind sauber, Laken und Decken frei von Läusen. Das Badezimmer müssen sie sich mit drei anderen Mietern teilen. Joe Mercer sagt, das sei schon in Ordnung.
Die Frau stopft Mercers Pesetas in ihre Schürzentasche. Sie erzählt, dass ihr Mann an der Front im Baskenland gefallen sei. Sie habe zwei Söhne. Der eine kämpfe oben im Norden für die Republik, der andere sei als Wehrpflichtiger in Francos Truppen bei Madrid stationiert. Ihr Sohn habe das Pech gehabt, in Malaga zu sein, als die Stadt fiel, und sei sofort eingezogen worden. »So sieht ein Bruderkrieg aus, Señor«, sagt sie und stopft auch Meyers Geld in ihre Schürzentasche, bevor sie sich schnell bekreuzigt. »Für einen Duro am Tag kann es meinen Söhnen passieren, dass sie sich gegenseitig erschießen. Fünf Pesetas füreinen Brudermord. Möge Gott ihnen beiden gnädig sein. Mögen sie einander niemals an der Front begegnen. Möge der Krieg bald ein Ende haben.«
Valencia ist eine seltsame Stadt, in der man alles bekommt, wenn man nur genug Geld hat, während andere bitterarm herumlaufen und Kinder vor den teuersten Restaurants und Hotels betteln. Magnus liebt das Essen hier und probiert ständig neue Gerichte aus. Er wechselt Geld und lädt Joe Mercer in der Nähe des Hafens auf der anderen Seite des Flusses zum Mittagessen ein. Er hat dort ein kleines Restaurant entdeckt, das ein Mann zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter betreibt, der ein Bein fehlt. Er hat auch einen Sohn, der aufs Meer hinausfährt und ihn mit frischen Fischen versorgt, einen Neffen, der Bauer ist und ihm Gemüse und Reis beschafft, und einen Onkel, der bei der Stadtverwaltung beschäftigt ist und dafür sorgt, dass die Behörden ein Auge zudrücken.
Es gibt nur ein halbes Dutzend Tische ohne Tischdecken, das Besteck ist aus Blech, und das Essen wird in großen Eisenpfannen über einem offenen Grill zubereitet. Aber das Essen schmeckt fantastisch. Zur Vorspeise serviert man ihnen einen Salat, anschließend ein gehaltvolles Gericht, das die Einheimischen »Paella« nennen. Der Reis ist gelb vom Safran und mit Schalentieren und Fisch angerichtet. Es ist eines der leckersten Gerichte, das Magnus je gegessen hat. Er empfindet eine kindliche Freude, weil er dieses Restaurant entdeckt hat und weil Mercer seine Freude über diese schmackhafte Mahlzeit teilt. Sie bekommen frisches Brot dazu, das sonst so schwer aufzutreiben ist, aber hier backt die Hausherrin selbst. Sie trinken einen goldenen, fruchtigen Weißwein zum Essen.
Vier Männer mittleren Alters sitzen in Begleitung von vier sehr jungen Frauen in einer Ecke des Gartens und ignorieren die beiden Ausländer. Für die Jahreszeit ist es sehr mild, der Wind weht eine salzige Brise vom Meer zuihnen herüber und lässt die hohen Palmen im Gastgarten sanft rauschen.
»Es schmeckt fantastisch«, sagt Joe Mercer. »Man kann natürlich in Chicago oder Paris in den teuersten Restaurants mit arroganten Oberkellnern, gestärkten weißen Damasttischtüchern und Silberbesteck in Reih und Glied essen gehen, aber wenn man wirklich hungrig ist, gibt es nichts Besseres als eine einfache Mahlzeit wie diese.«
»Man fühlt sich hier auf einmal ganz weit weg vom Krieg.«
»In diesem Land ist der Krieg nie weit weg.«
»Warum bist du zurückgekommen?«
»Das ist mein Beruf.«
»Das kann man leicht sagen.«
»Der Krieg ist wie Drogen oder Frauen oder Alkohol. Man wird abhängig davon, wenn man erst einmal damit in Berührung gekommen ist.«
»Dann bist du also ein Kriegssüchtiger.«
»Du wirst auch einer werden. Der Krieg sorgt dafür, dass man sich so verdammt lebendig fühlt.«
»Solange man es noch ist.«
»Genau. Man hat so höllische Angst, dass man sich beinahe in die Hosen macht, und dann will man nichts anderes, als die ganze Nacht saufen und vögeln. Weil das Blut so in Wallung ist. Man fühlt sich verflucht lebendig und ist froh, dass man es nicht selbst ist, der da draußen an der Front als Leiche herumliegt. Das wirst du auch noch erleben.«
»Das glaube ich nicht. Ich will so schnell wie möglich wieder zurück.«
»Okay. Es geht mich ja nichts an, aber wenn du darüber reden willst, dann …«
»Vielleicht ein anderes Mal«, sagt Magnus, greift nach seinem Weinglas und leert es mit langen Schlucken. Er hebt den Arm, um eine weitere Flasche Wein zu bestellen.»Die Männer da am Flughafen, Joe, vom SIM. Wer waren
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