Die Wahrheit über Alice
illegale
und unbeaufsichtigte Party zu nehmen und zuzulassen, dass sie sich sinnlos betrank.
Wer ist wirklich verantwortlich? Wer trägt hier wirklich die Schuld?
Und obwohl schon so viel Zeit vergangen ist, merke ich zu meiner Verblüffung, wie hart mich diese Worte noch immer treffen.
Noch immer habe ich das übermächtige Verlangen, meinen Protest hinauszuschreien, mich zu verteidigen, mich zu erklären und
zu rechtfertigen.
Die folgenden Seiten sind ein Sammelsurium von Fotos und Artikeln aus diversen Zeitungen. Sie wurden rausgerissen und rausgeschnitten
und kreuz und quer aufgeklebt, offenbar ohne besondere Ordnung. Am auffälligsten sind die großen Lettern über den Fotos und
Artikeln – «FEIGLING, KILLER, GESCHWISTERRIVALITÄT, VERRAT, UNVERANTWORTLICH, EIFERSUCHT».
Auf der vorletzten Seite finde ich ein Farbfoto von mir. Es ist ein richtiges Foto, das erst vor kurzem aufgenommen wurde
– das einzige, das nicht aus einer Zeitung stammt. Darauf habe ich lachend den Kopf nach hinten geworfen. Ich sehe überglücklich
aus.
« KatHeriNE PatTerSon HeUtE. Das LeBEn oHne ihRE SchWesTEr» lautet die Schlagzeile darüber.
Auf der letzten Seite steht lediglich – « kAtherInE paTteRsOn/KatiE bOydeLL – opFeR oDer MöRderIN ? ».
«Weg mit dem Scheiß.» Mick reißt mir das Album aus den Händen, klappt es zu und schmeißt es quer durch den Raum. Es knallt
gegen die Wand und fällt zu Boden. «Guck dir das nicht länger an. Das ist doch krank.»
|282| Ich sage nichts. Ich kann nicht sprechen. Ich kann nur schmecken, wie mir die Galle in die Kehle steigt. Ich wende mich ab
und gehe zum Bett, lege mich auf die Seite und rolle mich ganz klein zusammen.
Mick setzt sich neben mich. Er legt mir eine Hand auf die Schulter. «Vielleicht sollten wir die Polizei einschalten», sagt
er sanft. «Sie geht zu weit. Das ist ja schon Stalking.»
«Nein.»
«Aber wir müssen sie dazu bringen, dass sie aufhört.»
«Ich will die Polizei da raushalten.» Ich habe Angst, dass alles wieder ans Tageslicht gezerrt wird, dass die Vergangenheit
ausgebuddelt wird wie eine stinkende Leiche, aus der die Aasgeier der Presse die verwesten Fleischfetzen reißen, während der
Polizei wie immer die Hände gebunden sind. «Die können nichts machen. Gar nichts.»
Er legt sich neben mich und umarmt mich.
Irgendwann schlafen wir ein, eng aneinandergeschmiegt. Als ich am nächsten Morgen aufstehe, ist das Album verschwunden.
|283| 35
I n den nächsten Tagen verbringe ich jeden Abend, wenn Mick arbeitet, ein paar Stunden mit Umzugsvorbereitungen in Viviens
Wohnung und packe meine Sachen ein. Ich bin nicht mehr so müde wie in der ersten Zeit der Schwangerschaft. Es macht mir Spaß,
alles zu organisieren und von meinem neuen Leben mit Mick zu träumen. Die Zweifel, die ich hatte, sind größtenteils zerstreut,
seit ich weiß, dass meine Eltern Mick nett finden und Mum sich überraschenderweise auf das Baby freut. Wir tun das Richtige.
Wir lieben uns. Es wird wunderschön werden.
Ich teile Vivien per E-Mail mit, dass ich ausziehe. Ich verspreche ihr, mich um ihre Post zu kümmern und nach dem Rechten zu sehen, bis sie wiederkommt.
Zum Schluss entschuldige ich mich dafür, dass ich ihr so kurzfristig Bescheid sage.
Sie antwortet:
Du musst dich nicht entschuldigen! Ich wusste, dass es einen Grund dafür gibt, dass du in letzter Zeit so glücklich gewirkt
hast, und ich finde es ganz wunderbar, dass du jemanden kennengelernt hast, der dich so glücklich macht. Kann es kaum erwarten,
dich wiederzusehen (und deinen Mick kennenzulernen!!), sobald ich wieder zu Hause bin.
Pass auf dich auf. Ganz liebe Grüße.
Küsschen, dein Tantchen Viv
|284| Ich brauche drei Abende, um meine Sachen zu packen und sämtliche Spuren von mir in der Wohnung zu tilgen. Ich möchte, dass
alles pieksauber und ordentlich ist, als Dank an Vivien, dass ich bei ihr wohnen durfte. Am Freitagabend bin ich um halb elf
fertig und überlege, ob noch genug Zeit ist, um das Ende von Micks Gig mitzukriegen. Er wollte mich hinterher anrufen und
sich vom Leadsänger bei Viv absetzen lassen, um mir zu helfen, falls ich noch nicht fertig wäre. Aber da er sich noch nicht
gemeldet hat, nehme ich an, dass das Konzert gut besucht ist und er noch spielt. Ich beschließe, ihn abzuholen, um ihn zu
überraschen.
Es regnet, und die dunklen Straßen sind nass, daher fahre ich langsam und bin erst um elf da. Im Pub ist es
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