Die Wahrheit über Alice
bereits, als wir eintreffen, und ich sitze an unserem Tisch, ein kaltes Getränk in der Hand, und starre Mick
ungeniert hat. Er spielt konzentriert, das Gesicht so angespannt und verschlossen wie damals, als ich ihn das erste Mal auf
der Bühne sah. Danni und Philippa unterhalten sich. Sie versuchen, mich ins Gespräch einzubeziehen, aber ich bin nicht bei
der Sache, sondern warte darauf, dass Mick mich bemerkt. Danni und Philippa lachen. Philippa tätschelt kurz mein Bein, sie
freut sich für mich und ihren Bruder.
Schließlich schaut Mick in unsere Richtung. Er grinst, als er mich sieht, sein kolossales Lächeln, dieses Lächeln, das sein
Gesicht völlig verwandelt, und das Herz pocht mir vor dankbarer Liebe in der Brust. Ich würde am liebsten auf die Bühne springen
und ihn küssen, ihn umarmen, ihn an mich drücken. Aber es ist fast genauso schön, ihn spielen zu sehen und dabei zu wissen,
dass ich diejenige bin, an die er denkt, die sein Gesicht zum Strahlen gebracht hat, zu der er in der Pause kommen wird.
Die Band spielt jetzt das letzte Stück des ersten Sets, und Mick lässt mich nicht mehr aus den Augen. Kaum ist es zu Ende,
eilt er von der Bühne zu unserem Tisch. Erst begrüßt er Philippa und Danni, dann greift er meine Hand und zieht mich hinter
die Bühne, wo es dunkel ist.
Er drückt mich gegen die Wand, presst seinen Körper gegen meinen, legt eine Hand an meinen Kopf und vergräbt seine Finger
in meinem Haar.
«Du bist da», sagt er.
«Ja», sage ich mit einer Stimme, die federleicht ist, atemlos vor Liebe und Verlangen und vor unglaublicher Freude.
|204| «Ich hab dich vermisst.» Und ich höre es auch in seiner Stimme, dieses wahnsinnige Glück.
«Ja.» Und mehr gibt es nicht zu sagen, bloß ja. Ja.
Und dann ist sein Mund auf meinem, seine Zunge forschend, seine Lippen weich, der saubere, süße Geruch seines Atems inzwischen
vertraut. Und ich kann ihn an mir spüren, sein Verlangen, und ich will ihn auch, und ich schmiege mich an ihn, zeige ihm,
dass ich dasselbe empfinde. Und doch ist es nicht mein dringendster Wunsch, dass der Abend zu Ende geht. Ich werde ihn genießen,
jeden Augenblick, die Vorfreude auskosten, dass wir später zusammen sein werden. Die Verheißung von etwas noch Besserem.
Auf einmal spielt die Jukebox einen bekannten Song.
Ich rücke ein bisschen von ihm ab und sage: «Den hat Rachel immer gehört.» Ich muss lachen und bewege meinen Körper im Takt
der Musik. Es ist ein ansteckender, fröhlicher Song, den man unmöglich ignorieren kann. «Sie fand ihn ganz toll. Sie hat immer
dazu getanzt.»
Mick nimmt meine Hand. «Dann komm.»
Wir gehen zurück über die Bühne und springen auf die überfüllte Tanzfläche. Unsere Hände sind fest ineinander verschlungen,
und wir bewegen uns aufeinander zu und wieder voneinander weg. Dazwischen treffen sich unsere Lippen immer wieder, und wir
schmecken einander, salzig, süß, die Körper aneinandergepresst. Wir trennen uns, und Mick wirbelt mich herum, bis mir schwindelig
wird und er mich stützen muss. Ich lache. Wir tanzen zu einem Song nach dem anderen, bis wir beide heiß und verschwitzt sind
und uns die Handflächen kleben. Aber es macht uns nichts aus, wir wollen nicht aufhören, wir haben beide dieses Lächeln im
Gesicht.
Bei der lauten Musik höre ich mein Handy nicht, spüre aber die Vibration in der Tasche. Eine Nachricht. Ich ignoriere es und |205| nehme mir vor, die Mailbox später abzuhören, doch wenige Minuten später surrt es wieder. Ich hole das Handy aus der Tasche
und halte es hoch, damit Mick es sieht. Er küsst mich. Ich gehe zur Toilette, um die Nachrichten abzuhören.
Es ist Alice.
Katherine. Ruf mich an. Sie klingt irgendwie verweint. Wo bist du? In letzter Zeit kann ich dich gar nicht mehr erreichen.
Bitte ruf mich an. Bitte. Ich muss dich dringend sehen.
Ich rufe ihr Handy an.
«Katherine. Gott sei Dank», meldet sie sich.
«Was ist los? Ist alles in Ordnung?»
«Nein. Nicht wirklich.»
«Was ist denn? Was ist passiert?»
«Ich langweile mich. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Mein Freund hat zu tun und kann sich heute Abend nicht mit mir treffen.»
Ich verdrehe die Augen. Nur Alice schafft es, Langeweile wie die größte Katastrophe der Welt klingen zu lassen. Und obwohl
ich ganz und gar keine Lust habe, Mick allein zu lassen, sage ich: «Willst du, dass ich vorbeikomme? Schokolade mitbringe?»
«Ich weiß nicht, was ich will.» Sie
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