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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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1975 Anzeige wegen Belästigung gegen ihn erstattet. Deshalb wollte ich, dass wir uns hier treffen.«
    »Jenny hat Luther Caleb angezeigt?«
    »Sie kennen sie?«
    »Natürlich.«
    »Holen Sie sie bitte her.«
    Ich bat einen der Kellner, Jenny aus der Küche zu holen. Gahalowood stellte sich vor und bat sie, ihm von Luther zu erzählen.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Er war eigentlich ein netter Kerl, sehr sanft trotz seines Aussehens. Er ist ab und zu ins Clark’s gekommen. Ich habe ihm dann einen Kaffee und ein Sandwich ausgegeben. Zahlen lassen habe ich ihn nie, weil er ein armer Schlucker war. Er tat mir ein bisschen leid.«
    »Trotzdem haben Sie ihn angezeigt«, versetzte Gahalowood.
    Sie wirkte erstaunt. »Ich merke schon, Sie sind sehr gut informiert, Sergeant. Das ist lange her. Travis hat mich dazu gedrängt. Er hat damals gesagt, dass Luther gefährlich ist und man ihn fernhalten muss.«
    »Gefährlich? Warum?«
    »In jenem Sommer hat er sich oft in Aurora herumgetrieben. Mir gegenüber ist er manchmal aggressiv geworden.«
    »Aus welchem Grund ist Luther Caleb gewalttätig geworden?«
    »Gewalttätig ist ein starkes Wort. Sagen wir lieber aggressiv. Er wollte mich unbedingt … Nun ja, Ihnen kommt das vielleicht albern vor …«
    »Erzählen Sie uns alles, Madam. Vielleicht handelt es sich um ein wichtiges Detail.«
    Ich nickte, um Jenny zum Weiterreden zu ermuntern.
    »Er wollte mich unbedingt malen«, sagte sie.
    »Sie malen?«
    »Ja. Er sagte, ich sei eine schöne Frau, er finde mich wunderschön, und alles, was er wolle, sei, mich malen zu dürfen.«
    »Was ist aus ihm geworden?« erkundigte ich mich.
    »Eines Tages ist er nicht mehr aufgetaucht«, antwortete Jenny. »Angeblich hatte er einen tödlichen Autounfall. Fragen Sie Travis, er weiß es bestimmt genauer.«
    Gahalowood bestätigte mir, dass Luther Caleb bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Am 26. September 1975, also vier Wochen nach Nolas Verschwinden, hatte man seinen Wagen rund zweihundert Meilen von Aurora entfernt bei Sagamore in Massachusetts am Fuß einer Klippe entdeckt. Darüber hinaus hatte Luther in Portland die Kunstakademie besucht, und laut Gahalowood konnte man davon ausgehen, dass er Nolas Porträt gemalt hatte.
    »Dieser Luther scheint ein merkwürdiger Kauz gewesen zu sein«, meinte er. »Ob er versucht hat, sich an Nola zu vergehen? Ob er sie in den Wald bei Side Creek verschleppt hat? Er tötet sie im Affekt und lässt die Leiche verschwinden, bevor er nach Massachusetts flieht. Als ihn Gewissensbisse quälen und er sich in die Enge getrieben fühlt, stürzt er sich mit seinem Wagen eine Klippe hinunter. Er hat eine Schwester in Portland. Ich habe schon versucht, sie zu erreichen, bisher ohne Erfolg. Aber ich bleibe dran.«
    »Warum hat die Polizei sich damals nicht näher mit ihm befasst?«
    »Dazu hätte Caleb unter Verdacht stehen müssen. Aber es gab damals keinen Anhaltspunkt dafür, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte.«
    Ich schlug vor: »Könnten wir Stern nicht noch einmal befragen? Ich meine, offiziell. Vielleicht sogar sein Haus durchsuchen?«
    Gahalowood blickte resigniert drein. »Er ist sehr einflussreich. Im Moment haben wir schlechte Karten. Solange wir nicht wirklich etwas gegen ihn in der Hand haben, wird der Staatsanwalt nicht mitziehen. Wir brauchen schlagkräftige Indizien. Beweise, Schriftsteller, wir brauchen Beweise.«
    »Da wäre dieses Gemälde.«
    »Das Gemälde ist ein illegales Beweisstück, wie oft soll ich Ihnen das noch sagen? Erzählen Sie mir lieber erst mal, was Sie mit dem alten Kellergan vorhaben.«
    »Ich muss ein paar Punkte klären. Je mehr ich über ihn und seine Frau erfahre, desto mehr Fragen stelle ich mir.«
    Ich erwähnte Harrys und Nolas kleine Flucht nach Martha’s Vineyard, die ständigen Schläge ihrer Mutter, den Vater, der sich in der Garage versteckte. Meiner Ansicht nach umgab Nola, dieses strahlende und zugleich wie erloschene Mädchen, das nach Bekunden aller vor Lebensfreude gesprüht und trotzdem versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, ein tiefes Geheimnis. Wir frühstückten und machten uns dann auf den Weg zu David Kellergan.
    Die Haustür in der Terrace Avenue stand offen, aber er war nicht da: Aus der Garage drang keine Musik. Wir warteten auf der Veranda auf ihn. Eine halbe Stunde später kam er auf einem Motorrad angeknattert: Es war die Harley-Davidson, an der er seit dreiunddreißig Jahren

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