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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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Rattansesseln gemütlich und tranken nach und nach eine ganze Kühlbox leer. Gahalowood hatte noch seinen Anzug an, war aber in ein Paar alte Pantoffeln geschlüpft. Es war ein sehr warmer Abend, auf der Straße hörte man Kinder spielen. Die Luft duftete angenehm nach Sommer.
    »Sie haben wirklich eine hinreißende Familie«, sagte ich zu ihm.
    »Danke. Und was ist mit Ihnen? Haben Sie eine Frau? Kinder?«
    »Nein, nichts.«
    »Einen Hund?«
    »Nein.«
    »Nicht mal einen Hund? Dann sind Sie wirklich verdammt einsam, Schriftsteller … Lassen Sie mich raten: Sie wohnen in einem viel zu großen Apartment in einem angesagten Viertel von New York. In einem großen Apartment, das immer leer ist.«
    Ich versuchte gar nicht erst, es abzustreiten. »Früher kam mein Agent immer zum Baseballschauen zu mir. Wir haben uns Käsenachos gemacht. Das war schön. Aber ich weiß nicht, ob mein Agent nach dieser Geschichte noch etwas mit mir zu tun haben will. Ich habe seit zwei Wochen nichts von ihm gehört.«
    »Sie haben die Hosen voll, was, Schriftsteller?«
    »Ja, aber das Schlimmste ist, dass ich nicht weiß, wovor ich eigentlich Angst habe. Ich schreibe gerade mein neues Buch über diesen Fall. Das bringt mir mindestens eine Million Dollar ein und wird sich garantiert wahnsinnig gut verkaufen. Trotzdem bin ich zutiefst unglücklich. Was meinen Sie? Was soll ich tun?«
    Leicht erstaunt sah er mich an. »Sie fragen jemanden, der fünfzigtausend Dollar im Jahr verdient, um Rat?«
    »Ja.«
    »Ich weiß nicht, was ich Ihnen raten soll, Schriftsteller.«
    »Angenommen, ich wäre Ihr Sohn, was würden Sie mir raten?«
    »Sie? Mein Sohn? Ich muss gleich kotzen. Sie sollten mal zum Psychiater gehen, Schriftsteller. Ich habe einen Sohn, müssen Sie wissen. Er ist jünger als Sie, erst zwanzig …«
    »Das wusste ich nicht.«
    Er kramte in seiner Tasche und zog ein kleines Foto heraus, das er auf ein Stück Pappe geklebt hatte, damit es nicht zerknickte. Darauf war ein junger Mann in der Ausgehuniform der Marines zu sehen.
    »Ihr Sohn ist beim Militär?«
    »Zweite Infanteriedivision. Er ist im Irak stationiert. Den Tag, an dem er sich verpflichtet hat, werde ich nie vergessen. Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums hatte man ein mobiles Rekrutierungsbüro der US Army eingerichtet. Für ihn war die Sache klar: Er ist nach Hause gekommen und hat zu mir gesagt, dass er sich entschieden hat. Er wollte aufs College verzichten und in den Krieg ziehen. Wegen der Bilder vom 11. September, die immer noch in seinem Kopf rumspukten. Also habe ich eine Weltkarte geholt und ihn gefragt: ›Wo, bitte, ist der Irak?‹ Er hat geantwortet: ›Der Irak ist dort, wo man jetzt sein muss.‹ Was denken Sie, Marcus?« Es war das erste Mal, dass er mich beim Vornamen nannte. »Hatte er recht oder nicht?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich auch nicht. Ich weiß nur, dass das Leben eine Abfolge von Entscheidungen ist, zu denen man hinterher stehen muss.«
    Es war ein schöner Abend. Ich hatte mich seit Langem nicht mehr so geborgen gefühlt. Nach dem Essen saß ich ein Weilchen allein auf der Terrasse, während Gahalowood seiner Frau beim Aufräumen half. Inzwischen war es dunkel geworden, und ich sah den Großen Bären am tintenfarbenen Himmel blinken. Alles war ruhig. Die Kinder waren von der Straße verschwunden, nur noch das beruhigende Zirpen der Grillen war zu hören. Als Gahalowood sich wieder zu mir gesellte, zogen wir Bilanz bei den Ermittlungen. Bei der Gelegenheit erzählte ich ihm, dass Stern Harry mietfrei in Goose Cove hatte wohnen lassen.
    »Derselbe Stern, der ein Verhältnis mit Nola hatte? Das ist sehr merkwürdig«, stellte er fest.
    »Sie sagen es, Sergeant! Übrigens wusste damals jemand über Harry und Nola Bescheid. Harry hat mir erzählt, dass er bei dem großen Sommerball der Stadt auf einem Toilettenspiegel die Aufschrift Mädchenficker entdeckt hat. Apropos, was ist eigentlich mit der Schrift auf dem Manuskript? Wann kriegen Sie das Ergebnis der grafologischen Untersuchung?«
    »Nächste Woche, schätze ich.«
    »Dann wissen wir bald mehr.«
    »Ich bin den abschließenden Polizeibericht zu Nolas Vermissten-Meldung Punkt für Punkt durchgegangen«, berichtete Gahalowood, »und zwar den, den Chief Pratt abgefasst hat. Ich versichere Ihnen, darin werden weder Stern noch Harry erwähnt.«
    »Das ist merkwürdig, weil mir sowohl Nancy Hattaway als auch Tamara Quinn bestätigt haben, dass sie Chief Pratt nach Nolas Verschwinden von ihren

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