Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
Vom Netzwerk:
hatte, gestattete sie es sich, sich in Harrys Nähe zu setzen, allerdings nicht zu nah, um ihn nicht zu stören, und dann sah sie ihm glücklich beim Schreiben zu. Sie war die Frau des Schriftstellers.
    An diesem Tag brach sie kurz nach Mittag auf. Wie immer erteilte sie ihm Anweisungen, bevor sie ihn allein ließ: »Ich habe Sandwiches für Sie gemacht. Sie stehen in der Küche. Und im Kühlschrank ist Eistee. Essen Sie ordentlich. Und ruhen Sie sich ein wenig aus, sonst bekommen Sie Kopfschmerzen. Sie wissen ja, was passiert, wenn Sie zu viel arbeiten, allerliebster Harry. Sie kriegen eine scheußliche Migräne, und dann sind Sie so reizbar.« Sie schlang die Arme um ihn.
    »Kommst du später wieder?«, wollte Harry wissen.
    »Nein, Harry. Ich habe zu tun.«
    »Zu tun? Was denn? Warum gehst du so früh?«
    »Ich habe zu tun, Punkt. Wir Frauen müssen uns ein paar kleine Geheimnisse bewahren. Das habe ich in einer Zeitschrift gelesen.«
    Er grinste. »Nola …«
    »Ja?«
    »Danke.«
    »Wofür, Harry?«
    »Für alles. Ich … Ich schreibe ein Buch und verdanke es dir, dass ich endlich dazu in der Lage bin.«
    »Allerliebster Harry, ich möchte das mein ganzes Leben lang machen: mich um Sie kümmern, für Sie da sein, Ihnen bei Ihren Büchern helfen, mit Ihnen eine Familie gründen! Stellen Sie sich vor, wie glücklich wir alle zusammen wären! Wie viele Kinder wollen Sie, Harry?«
    »Drei mindestens!«
    »Ja! Oder auch vier! Zwei Jungs und zwei Mädchen, damit es nicht so viel Streit gibt. Ich möchte Mrs Nola Quebert werden! Die Frau, die auf ihren Mann so stolz ist wie keine andere auf der Welt!«
    Sie verließ das Haus, ging die Auffahrt von Goose Cove und anschließend die Route 1 entlang. Auch diesmal bemerkte sie die im Dickicht versteckte Gestalt nicht, die ihr nachspionierte.
    Zu Fuß brauchte sie eine halbe Stunde nach Aurora. Sie legte die Strecke zweimal täglich zurück. In der Stadt angekommen, bog sie in die Hauptstraße ein und folgte ihr zum kleinen Park, wo, wie vereinbart, Nancy Hattaway auf sie wartete.
    »Warum ausgerechnet hier und nicht am Strand?«, maulte Nancy, als sie Nola sah. »Es ist so heiß!«
    »Ich habe heute Nachmittag eine Verabredung …«
    »Was? Sag bloß, du gehst wieder zu Stern!«
    »Du sollst seinen Namen nicht sagen!«
    »Du hast mich also wieder antreten lassen, damit ich dir ein Alibi verschaffe?«
    »Komm schon, ich bitte dich, du musst mich decken …«
    »Ständig soll ich dich decken!«
    »Noch einmal! Nur noch ein einziges Mal! Bitte!«
    »Geh nicht!«, beschwor Nancy sie. »Geh nicht zu diesem Kerl! Das muss ein Ende haben! Ich habe Angst um dich. Was macht ihr eigentlich bei ihm? Ihr habt Sex, oder? Ist es das?«
    Nola setzte eine sanfte, beschwichtigende Miene auf. »Mach dir keine Sorgen, Nancy. Du deckst mich, okay? Versprich es mir! Du weißt, was passiert, wenn herauskommt, dass ich gelogen habe. Du weißt, was man dann zu Hause mit mir macht …«
    Nancy seufzte resigniert. »Also gut. Ich warte hier, bis du zurück bist. Aber es darf nicht später als achtzehn Uhr dreißig werden, sonst krieg ich Ärger mit meiner Mutter.«
    »Verstanden. Und falls man dir Fragen stellt – was haben wir gemacht?«
    »Wir haben den ganzen Nachmittag hier verquatscht«, wiederholte Nancy wie ein Papagei. »Nola, ich habe es satt, für dich zu lügen!«, stöhnte sie. »Warum machst du das? Sag schon!«
    »Weil ich ihn liebe! Ich liebe ihn so sehr! Für ihn würde ich alles tun!«
    »Igitt, wie eklig! Ich will lieber gar nicht daran denken.«
    Ein blauer Mustang tauchte in einer der Straßen auf, die an die Grünanlage grenzten, und hielt am Fahrbahnrand. Als Nola ihn erblickte, verkündete sie: »Da ist er. Ich muss los. Bis nachher, Nancy. Danke, du bist eine echte Freundin.«
    Rasch lief sie zum Wagen und schlüpfte hinein. »Guten Tag, Luther«, sagte sie zum Fahrer, während sie sich auf die Rückbank setzte. Sofort fuhr der Wagen los und war gleich darauf verschwunden, ohne dass außer Nancy jemand etwas von diesem merkwürdigen Vorgang mitbekommen hatte.
    Eine Stunde später fuhr der Mustang vor dem Herrenhaus von Elijah Stern in Concord vor. Luther führte das junge Mädchen ins Innere. Sie kannte den Weg bereits.
    »Tfieh dich fon mal auf«, wies Luther sie höflich an. »Ich fage Mifter Ftern Befeid, daff du da bift.«

    12. August 1975
    Wie jeden Morgen seit der Reise nach Martha’s Vineyard, wo er seine Inspiration wiedergefunden hatte, stand Harry bei Tagesanbruch

Weitere Kostenlose Bücher