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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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ausgekühlt, und er fühlte Krämpfe aufsteigen. Allein stand er am Rand der menschenleeren Straße. Schon bereute er es, dass er bis Aurora gejoggt war, denn er konnte sich nicht vorstellen, noch bis nach Goose Cove zurückzulaufen. In diesem Augenblick hielt ein blauer Mustang neben ihm. Der Fahrer ließ die Scheibe herunter, und Harry erkannte Luther Caleb.
    »Brauchen Fie Hilfe?«
    »Ich bin zu weit gelaufen … Ich denke, ich habe mich übernommen.«
    »Fteigen Fie ein. Ich fahre Fie nach Haufe.«
    »Was für ein Glück, dass ich Sie getroffen habe«, seufzte Harry, als er sich auf den Beifahrersitz sinken ließ. »Was machen Sie so früh in Aurora?«
    Caleb antwortete nicht. Wortlos fuhr er seinen Gast nach Goose Cove. Kaum hatte er Harry zu Hause abgesetzt, machte er mit seinem Mustang kehrt, aber anstatt nach Concord zu fahren, bog er nach links in Richtung Aurora ab und fuhr gleich darauf in einen kleinen Waldweg. Im Schutz der Kiefern ließ Caleb den Wagen stehen, huschte zwischen den Baumreihen hindurch und versteckte sich in der Nähe des Hauses im Gebüsch. Es war Viertel nach sechs. Er lehnte sich an einen Baumstamm und wartete.
    Gegen neun Uhr traf Nola in Goose Cove ein, um sich um ihren Liebsten zu kümmern.

    13. August 1975
    »Wissen Sie, Dr. Ashcroft, das passiert mir immer wieder, und danach mache ich mir jedes Mal Vorwürfe.«
    »Wie kommt das?«
    »Ich weiß auch nicht. Es bricht irgendwie aus mir heraus. Es ist wie ein Zwang, den ich nicht unterdrücken kann. Ich bin ganz unglücklich darüber. Ganz unglücklich! Aber ich kann nichts dagegen tun.«
    Dr. Ashcroft sah Tamara Quinn prüfend an, dann fragte er: »Sind Sie in der Lage, den Menschen zu sagen, was Sie für sie empfinden?«
    »Ich … Nein. Das tue ich nie.«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie es sowieso wissen.«
    »Sind Sie sich sicher?«
    »Natürlich!«
    »Woher sollen sie es wissen, wenn Sie es ihnen nicht sagen?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, Herr Doktor …«
    »Weiß Ihre Familie, dass Sie zu mir kommen?«
    »Nein! Nein! Ich … Das geht sie nichts an.«
    Er nickte. »Hören Sie, Mrs Quinn, Sie sollten aufschreiben, was in Ihnen vorgeht. Schreiben kann beruhigend wirken.«
    »Das tue ich, ich schreibe alles auf. Seit wir darüber gesprochen haben, schreibe ich alles in ein Heft, das ich wie meinen Augapfel hüte.«
    »Und? Hilft es Ihnen?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht ein bisschen.«
    »Darüber reden wir nächste Woche. Die Zeit ist um.«
    Tamara Quinn erhob sich und verabschiedete sich mit einem Händedruck von ihrem Arzt. Dann verließ sie die Praxis.

    14. August 1975
    Es war gegen elf Uhr. Nola saß seit dem frühen Vormittag in Goose Cove auf der Terrasse und tippte auf der Remington eifrig die handgeschriebenen Blätter ab, während Harry ihr gegenüber weiterschrieb. »Das ist gut!«, rief sie zwischendurch immer wieder begeistert. »Das ist wirklich sehr gut!« Statt einer Antwort lächelte Harry. Er fühlte sich unglaublich inspiriert.
    Es war heiß. Nola fiel auf, dass Harry nichts mehr zu trinken hatte, und ging in die Küche, um einen Eistee zuzubereiten. Kaum war sie im Haus verschwunden, tauchte auf der Terrasse ein Besucher auf, der außen herumgegangen war: Elijah Stern.
    »Harry Quebert, Sie arbeiten zu viel!«, schmetterte Stern zur Begrüßung. Harry fuhr zusammen, denn er hatte ihn nicht kommen hören. Eisiger Schrecken befiel ihn: Niemand durfte Nola hier sehen.
    »Elijah Stern!«, rief Harry, so laut er konnte, damit Nola es hörte und im Haus blieb.
    »Harry Quebert!«, wiederholte, noch lauter, Elijah Stern, der nicht verstand, warum Harry so schrie. »Ich habe an der Tür geklingelt, aber vergeblich. Als ich Ihren Wagen sah, habe ich mir gesagt, dass Sie vielleicht auf der Terrasse sind, und habe mir erlaubt, ums Haus zu gehen.«
    »Das haben Sie gut gemacht!«, brüllte Harry aus vollem Hals.
    Sterns Blick fiel auf die Papiere und die Schreibmaschine auf der anderen Seite des Tisches.
    »Sie schreiben und tippen gleichzeitig?«, erkundigte er sich neugierig.
    »Ja. Ich … Ich schreibe parallel an mehreren Seiten.«
    Stern ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er war nass geschwitzt. »An mehreren Seiten gleichzeitig? Wenn das nicht genial ist! Stellen Sie sich vor, ich war in der Gegend und habe mir gesagt, dass ich doch einen Abstecher nach Aurora machen könnte. Es ist eine so nette Stadt! Also habe ich den Wagen in der Hauptstraße stehen lassen und einen Spaziergang gemacht. Und

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