Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
Vom Netzwerk:
Strand heiterte sie immer auf. Er holte die Blechdose mit der Aufschrift SOUVENIR AUS ROCKLAND, MAINE , und sie gingen zu den Felsen, um die Möwen zu füttern. Danach setzten sie sich in den Sand und betrachteten den Horizont.
    »Ich will fortgehen, Harry!«, rief Nola. »Ich will, dass Sie mich ganz weit von hier wegbringen!«
    »Fortgehen?«
    »Sie und ich, ganz weit weg. Sie haben gesagt, dass wir irgendwann fortgehen. Ich will irgendwohin, wo ich mich vor der Welt verstecken kann. Wollen Sie nicht mit mir weit weg von hier sein? Lassen Sie uns fortgehen, ich flehe Sie an! Sagen wir, am Ende dieses schrecklichen Monats am 30., dann haben wir genau fünfzehn Tage, um alles vorzubereiten.«
    »Am 30.? Du willst, dass wir beide zusammen am 30. August durchbrennen? Ist das nicht Wahnsinn?«
    »Wahnsinn? Wahnsinn ist, in diesem elenden Nest leben zu müssen! Wahnsinn ist, sich so zu lieben, wie wir es tun, und es nicht zu dürfen! Wahnsinn ist, dass wir uns verstecken müssen wie seltsame Tiere! Ich kann nicht mehr, Harry! Ich gehe auf jeden Fall weg. Am 30. August verlasse ich abends diese Stadt. Ich halte es hier nicht länger aus. Kommen Sie mit, ich flehe Sie an! Lassen Sie mich nicht allein!«
    »Und wenn uns jemand aufhält?«
    »Wer sollte uns aufhalten? In zwei Stunden sind wir in Kanada. Aus welchem Grund sollte man uns aufhalten? Fortzugehen ist kein Verbrechen. Fortzugehen bedeutet, frei zu sein, und wer kann uns daran hindern, frei sein zu wollen? Die Freiheit ist das Fundament Amerikas! Sie ist in unserer Verfassung verankert. Ich gehe, Harry, so viel steht fest. In fünfzehn Tagen bin ich weg. Am Abend des 30. August verlasse ich diese Unglücksstadt. Kommen Sie mit?«
    Ohne nachzudenken, antwortete er: »Ja! Natürlich! Ich kann mir nicht mehr vorstellen, ohne dich zu leben. Am 30. August brechen wir zusammen auf.«
    »Oh, allerliebster Harry, ich bin ja so glücklich! Aber was wird aus Ihrem Buch?«
    »Mein Buch ist fast fertig.«
    »Fast fertig? Das ist ja phantastisch! Wie schnell Sie vorangekommen sind!«
    »Das Buch ist nicht mehr wichtig. Wenn ich mit dir fliehe, glaube ich nicht, dass ich Schriftsteller bleiben kann. Aber was soll’s? Alles, was zählt, bist du! Alles, was zählt, sind wir! Alles, was zählt, ist glücklich zu sein!«
    »Natürlich werden Sie immer Schriftsteller sein! Wir werden das Manuskript per Post nach New York schicken! Ich liebe Ihren neuen Roman! Es ist wahrscheinlich der schönste Roman, den ich je zu lesen bekommen habe. Sie werden ein ganz großer Schriftsteller werden. Ich glaube an Sie! Also am 30.? In fünfzehn Tagen. In fünfzehn Tagen hauen wir ab, Sie und ich, nach Kanada! Wir werden so glücklich sein, Sie werden sehen. Die Liebe, Harry, ist das Einzige, was ein Leben wirklich schön machen kann. Alles andere ist überflüssig.«

    18. August 1975
    Er saß hinter dem Steuer seines Streifenwagens und beobachtete sie durch die Fensterscheibe des Clark’s. Seit dem Ball hatten sie kaum miteinander gesprochen. Sie hielt Abstand zu ihm, und das machte ihn traurig. Seit einigen Tagen wirkte sie besonders unglücklich. Er fragte sich, ob es womöglich etwas mit ihm zu tun hatte, aber dann fiel ihm ein, wie er sie einmal in Tränen aufgelöst auf ihrer Veranda angetroffen und sie ihm erzählt hatte, dass ihr ein Mann wehgetan hatte. Was genau hatte sie mit »wehtun« gemeint? Ob sie Sorgen hatte? Oder, schlimmer: War sie geschlagen worden? Von wem? Was war los? Er beschloss, all seinen Mut zusammenzunehmen und mit ihr zu reden. Wie immer wartete er, bis sich das Diner ein wenig geleert hatte, bevor er sich hineintraute. Als er schließlich eintrat, räumte Jenny gerade einen Tisch ab.
    »Hallo, Jenny«, sagte er mit klopfendem Herzen.
    »Hallo, Travis.«
    »Wie geht’s?«
    »Gut.«
    »Wir haben uns seit dem Ball nicht oft gesehen«, sagte er.
    »Ich hatte hier alle Hände voll zu tun.«
    »Ich wollte dir sagen, dass ich mich sehr gefreut habe, dein Tanzpartner zu sein.«
    »Danke.« Sie wirkte bedrückt.
    »Jenny, du bist mir gegenüber in letzter Zeit so abweisend.«
    »Nein, Travis … Ich … Das hat nichts mit dir zu tun.«
    Sie dachte an Harry. Sie dachte Tag und Nacht an ihn. Warum wies er sie zurück? Vor ein paar Tagen war er mit Elijah Stern hier gewesen und hatte kaum ein Wort an sie gerichtet. Sie hatte sehr wohl bemerkt, dass die beiden sich lustig über sie gemacht hatten.
    »Jenny, du weißt, dass du mir alles erzählen kannst, wenn du Sorgen

Weitere Kostenlose Bücher