Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
früher immer die Mojitos gemixt, weißt du noch?«
Ich hörte ihn schmunzeln. »Und ob!«
»Das war eine schöne Zeit, oder?«
»Es ist immer noch eine schöne Zeit, Marc. Wir haben ein tolles Leben, auch wenn es zwischendurch Phasen gibt, die ein bisschen schwieriger sind.«
1. Dezember 2006, New York City
»Doug, kannst du noch ein paar Mojitos machen?«
Hinter meiner Küchentheke stieß Douglas, der sich eine Schürze mit einer nackten Frau darauf umgebunden hatte, Wolfsgeheul aus, griff nach der Rumflasche und goss den Inhalt in einen mit zerstoßenem Eis gefüllten Shaker.
Das war drei Monate nachdem mein erstes Buch erschienen war. Ich war ganz oben angekommen. Zum fünften Mal in den drei Wochen, seit ich das Apartment im Village bezogen hatte, gab ich zu Hause eine Party. In meinem Wohnzimmer drängten sich Dutzende von Leuten, von denen ich nicht mal ein Viertel kannte. Aber ich liebte das. Douglas übernahm es, die Gäste mit Mojitos abzufüllen, ich kümmerte mich um die White Russians, den einzigen Cocktail, den ich je für trinkbar gehalten hatte.
»Was für ein Abend!«, sagte Douglas zu mir. »Ist das der Doorman, der da in deinem Wohnzimmer tanzt?«
»Ja, ich habe ihn eingeladen.«
»Und Lydia Gloor ist auch hier – wow! Ist dir das eigentlich klar? Lydia Gloor ist in deinem Apartment!«
»Wer ist Lydia Gloor?«
»Großer Gott, Marc, das musst du doch wissen! Sie ist die zurzeit angesagteste Schauspielerin, sie spielt in dieser Fernsehserie mit, die alle Welt sieht … Na gut, anscheinend alle Welt außer dir. Wie hast du es geschafft, sie herzukriegen?«
»Keine Ahnung. Die Leute klingeln, und ich mache ihnen die Tür auf. Mi casa es tu casa !«
Mit Petits Fours und Drinks bewaffnet, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Durch die Fenster sah ich es schneien und bekam plötzlich Lust, an die frische Luft zu gehen. Nur im Hemd trat ich auf den Balkon. Es war eiskalt. Ich nahm die Unermesslichkeit New Yorks und die Abermillionen von Lichtpunkten in mich auf und schrie aus Leibeskräften: »Ich bin Marcus Goldman!«
Da hörte ich hinter mir eine Stimme: Sie gehörte einer hübschen Blondine meines Alters, die ich noch nie gesehen hatte. »Marcus Goldman, dein Telefon klingelt«, sagte sie zu mir.
Ihr Gesicht kam mir bekannt vor. »Ich habe dich schon mal irgendwo gesehen, stimmt’s?«, fragte ich sie.
»Wahrscheinlich im Fernsehen.«
»Bist du Lydia Gloor …?«
»Ja.«
»Oh, Mann …!«
Ich bat sie, brav auf dem Balkon zu warten, und eilte ans Telefon. »Hallo?«
»Marcus? Hier ist Harry.«
»Harry! Wie schön, Sie zu hören! Wie geht es Ihnen?«
»Nicht übel. Ich hatte einfach Lust, Ihnen Hallo zu sagen. Was für ein Lärm im Hintergrund … Haben Sie Gäste? Vielleicht kommt mein Anruf ungelegen …«
»Ich schmeiße eine kleine Party in meinem neuen Apartment.«
»Sie haben Montclair den Rücken gekehrt?«
»Ja, ich habe mir ein Apartment im Village gekauft. Sie müssen es sich unbedingt ansehen kommen, der Blick ist atemberaubend.«
»Das glaube ich gern. Jedenfalls hört es sich so an, als hätten Sie Spaß. Das freut mich für Sie. Sie haben bestimmt viele Freunde.«
»Haufenweise! Und das ist noch nicht alles. Stellen Sie sich vor: Auf meinem Balkon wartet eine unglaublich gut aussehende Schauspielerin auf mich. Ha, ha, ich kann es kaum glauben! Das Leben ist zu schön, Harry, viel zu schön. Und Sie? Was machen Sie heute Abend?«
»Ich … Ich geb ein kleines Fest für ein paar Freunde. Es gibt Steaks und Bier. Was will man mehr? Wir amüsieren uns gut, nur Sie fehlen. Aber jetzt klingelt es an der Tür, Marcus. Die nächsten Gäste sind da. Ich muss auflegen und aufmachen gehen. Ich weiß gar nicht, ob alle ins Haus passen, dabei ist es alles andere als klein!«
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Harry. Ich rufe Sie an, versprochen!«
Ich ging zurück auf den Balkon. An diesem Abend begann ich, Lydia Gloor, die meine Mutter später nur noch »die Fernsehschauspielerin« nennen sollte, zu »daten«. In Goose Cove ging Harry die Tür öffnen. Es war der Pizzabote. Harry nahm seine Bestellung entgegen und setzte sich zum Essen vor den Fernseher.
Wie versprochen, rief ich ihn nach diesem Abend zurück, doch zwischen den beiden Telefonaten lag etwa mehr als ein Jahr. Es war jetzt Februar 2008.
»Hallo?«
»Harry, ich bin es, Marcus.«
»Ah, Marcus! Sind Sie es wirklich? Kaum zu glauben! Seit Sie ein Star sind, lassen Sie nichts mehr von sich hören. Vor
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