Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
wirklich großer Autor.«
»Danke für die Blumen! Und was bin ich?«
»Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe. Du bist ein, sagen wir … ein moderner Schriftsteller. Du kommst an, weil du jung und dynamisch und … angesagt bist. Du bist ein angesagter Autor, das ist es. Von dir erwartet niemand, dass du den Pulitzerpreis kriegst, die Leute lieben deine Bücher, weil sie im Trend liegen und unterhaltsam sind, und das ist auch absolut in Ordnung so.«
»So denkst du also über mich? Dass ich ein unterhaltsamer Autor bin?«
»Dreh mir nicht das Wort im Mund um, Marc. Dir ist doch wohl klar, dass das Publikum auf dich steht, weil du … so ein hübscher Kerl bist.«
»Ein hübscher Kerl? Das wird ja immer schlimmer!«
»Komm schon, Marc, du weißt, worauf ich hinauswill! Du transportierst ein bestimmtes Image. Wie schon gesagt, du liegst im Trend. Alle mögen dich. Du bist der gute Kumpel, der geheimnisvolle Liebhaber und der ideale Schwiegersohn in einem … Deshalb wird Der Fall Harry Quebert auch ein Riesenerfolg werden! Es ist verrückt, es gibt dein Buch noch gar nicht, und die Leute reißen sich schon darum. So etwas habe ich in meinem ganzen Berufsleben noch nicht erlebt.«
»Der Fall Harry Quebert?«
»Das ist der Titel.«
»Was soll das heißen – der Titel ?«
»Du hast ihn doch selbst über deinen Text geschrieben.«
»Das war ein provisorischer Titel, und das habe ich auch extra drüber geschrieben: provisorischer Titel. Pro-vi-so-risch . Das ist ein Adjektiv und heißt, dass etwas nicht endgültig ist.«
»Hat Barnaski dich denn nicht informiert? Die Marketingabteilung hält es für den perfekten Titel. Das haben sie gestern Abend beschlossen. Dringlichkeitssitzung wegen der durchgesickerten Seiten. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, die Indiskretion als Marketinginstrument zu nutzen, und deshalb haben sie heute Vormittag die Werbekampagne für das Buch gestartet. Ich dachte, du wüsstest davon. Schau mal ins Internet.«
»Du dachtest, ich wüsste davon? Scheiße, Doug, du bist mein Agent! Du sollst nicht denken, sondern handeln! Du musst dafür sorgen, dass ich über alles, was mit meinem Buch zu tun hat, auf dem Laufenden bin, verdammt!«
Wutentbrannt legte ich auf und stürzte an meinen Computer. Die Homepage von Schmid & Hanson stand ganz im Zeichen meines Projekts: Auf ihr wechselten sich ein großes Farbfoto von mir sowie Schwarzweißaufnahmen von Aurora und folgender Text ab:
DER FALL HARRY QUEBERT
Das neue Buch von Marcus Goldman über das
Verschwinden von Nola Kellergan
Erscheinungstermin: im Herbst.
Bestellen Sie es schon jetzt!
An diesem Tag sollte um dreizehn Uhr die Anhörung stattfinden, die auf Wunsch der Staatsanwaltschaft aufgrund des Ergebnisses der grafologischen Untersuchung anberaumt worden war. In Concord belagerten Journalisten die Stufen zum Gerichtsgebäude, während sich die Reporter der Fernsehsender, die das Ereignis live übertrugen, die von der Presse veröffentlichten Enthüllungen zu eigen machten. Es war die Rede von einer möglichen Einstellung des Verfahrens: ein saftiger Skandal.
Eine Stunde vor der Anhörung rief ich Roth an, um ihm mitzuteilen, dass ich nicht bei Gericht erscheinen würde.
»Sie verstecken sich, Marcus?«, rügte er mich. »Seien Sie kein Frosch! Ihr Buch ist ein Segen für uns alle. Es wird Harrys Unschuld beweisen, Ihre Karriere festigen und meiner einen großen Schub verleihen. Ich werde nicht länger nur der Roth aus Concord sein, sondern der Roth aus Ihrem Bestseller! Das Buch kommt genau zur rechten Zeit, vor allem für Sie. Wie lange haben Sie nichts mehr geschrieben? Zwei Jahre?«
»Halten Sie die Klappe, Roth! Sie wissen ja nicht, worum es geht!«
»Und hören Sie mit diesem Theater auf, Goldman! Ihr Buch wird ein Knüller, das wissen Sie genau. Sie werden dem ganzen Land verraten, warum Harry ein Perverser ist. Ihre Inspiration war Ihnen abhandengekommen, Sie wussten nicht, was Sie schreiben sollten, und jetzt schreiben Sie ein Buch mit Erfolgsgarantie.«
»Diese Seiten hätten nie an die Presse gelangen dürfen.«
»Aber Sie haben sie nun mal geschrieben. Machen Sie sich nichts daraus: Ich rechne fest damit, dass ich Harry noch heute aus dem Gefängnis freibekomme, und das habe ich ohne Frage Ihnen zu verdanken. Ich gehe davon aus, dass auch der Richter Zeitung liest, insofern dürfte es mir nicht schwerfallen, ihn davon zu überzeugen, dass Nola eine willige Schlampe war.«
»Tun Sie das
Weitere Kostenlose Bücher