Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
nur: »Was haben Sie sich bloß dabei gedacht, Marcus?«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Harry.«
»Sagen Sie nichts. Schauen Sie, was Sie angerichtet haben. Dafür braucht es keine Worte.«
»Harry, ich …«
Da bemerkte er die Aufschrift auf der Motorhaube meines Range Rovers. »Ihr Wagen hat nichts abgekriegt?«
»Nein.«
»Umso besser, weil Sie sich jetzt hineinsetzen und von hier verschwinden werden.«
»Harry …«
»Sie hat mich geliebt, Marcus! Und ich habe sie geliebt, wie ich danach nie wieder jemanden geliebt habe. Warum haben Sie diese unsäglichen Dinge geschrieben? Wissen Sie, was Ihr Problem ist? Sie wurden nie geliebt! Nie! Sie wollen Liebesromane schreiben, aber von der Liebe haben Sie keine Ahnung! Ich möchte, dass Sie jetzt gehen. Auf Wiedersehen.«
»Ich habe Nola nie so beschrieben oder mir vorgestellt, wie die Presse es hinstellt. Diese Leute haben meine Worte verdreht, Harry!«
»Wie konnten Sie zulassen, dass Barnaski diesen Dreck an die gesamte landesweite Presse geschickt hat?«
»Es war Diebstahl.«
Er lachte zynisch. »Diebstahl! Sagen Sie bloß, Sie sind so naiv und glauben alles, was Barnaski Ihnen auftischt! Ich wette, er hat Ihren beschissenen Text eigenhändig kopiert und im ganzen Land herumgeschickt.«
» Was ? Aber …«
Er schnitt mir das Wort ab. »Marcus, ich wünschte, ich wäre Ihnen nie begegnet. Gehen Sie jetzt. Sie befinden sich auf meinem Grundstück und sind hier nicht länger willkommen.«
Ein langes Schweigen machte sich breit. Die Feuerwehrleute und Polizisten starrten uns an. Ich griff nach meiner Tasche, stieg in meinen Wagen und fuhr los. Sofort rief ich Barnaski an.
»Schön, von Ihnen zu hören, Goldman«, begrüßte er mich. »Gerade habe ich das von Queberts Haus gehört, es läuft auf allen Nachrichtensendern. Ich bin froh, dass Ihnen nichts passiert ist. Lange kann ich nicht mit Ihnen reden, ich habe nämlich gleich einen Termin mit den Geschäftsführern von Warner Bros. Die schlagen sich darum, anhand Ihrer ersten Seiten ein Drehbuch zu dem Fall schreiben zu lassen. Alle sind hin und weg. Ich glaube, wir können ihnen die Filmrechte für ein kleines Vermögen verkaufen …«
Ich unterbrach ihn: »Es wird kein Buch geben, Roy.«
»Was sagen Sie?«
»Sie waren es, oder? Sie haben meinen Text an die Presse geschickt! Sie haben alles vermasselt!«
»Sie sind wetterwendisch, Goldman. Schlimmer: Sie führen sich auf wie eine Diva und das gefällt mir überhaupt nicht! Erst spielen Sie den Detektiv und ziehen eine Riesenshow ab, und dann schmeißen Sie aus einer Laune heraus alles wieder hin. Wissen Sie was? Ich schreibe das der Tatsache zu, dass Sie eine anstrengende Nacht hinter sich haben, und vergesse diesen Anruf. Kein Buch … also wirklich! Für wen halten Sie sich, Goldman?«
»Für einen echten Schriftsteller. Schreiben heißt frei sein.«
Er lachte gequält. »Wer hat Ihnen diese Flausen in den Kopf gesetzt? Sie sind ein Sklave Ihrer Karriere, Ihrer Ideen und Ihres Erfolgs. Sie sind ein Sklave Ihrer Lebensumstände. Schreiben heißt abhängig sein. Abhängig von denen, die Ihre Bücher lesen oder eben nicht. Freiheit ist gequirlter Schwachsinn! Niemand ist frei. Ich halte einen Teil Ihrer Freiheit in meiner Hand, so wie die Aktionäre dieses Unternehmens einen Teil meiner Freiheit in ihrer Hand halten. So ist das Leben, Goldman. Niemand ist frei. Wenn die Menschen frei wären, wären sie glücklich. Kennen Sie viele Menschen, die wirklich glücklich sind?« Als ich nicht darauf antwortete, fuhr er fort: »Wissen Sie, mit der Freiheit ist es so eine Sache. Ich kannte mal einen Typen, der war Börsenhändler an der Wall Street, ein Sonnyboy mit Geld wie Heu und einem glücklichen Händchen in allem, was er anpackte. Irgendwann wollte er ein freier Mensch sein. Er hatte im Fernsehen einen Bericht über Alaska gesehen, und das war für ihn eine Art Aha-Erlebnis. Er hat beschlossen, ein freier und glücklicher Jäger zu werden und von frischer Luft zu leben, hat alles hingeschmissen und ist in den Süden Alaskas ausgewandert, in den Wrangler-Nationalpark. Und stellen Sie sich vor, der Kerl, dem im Leben immer alles geglückt ist, hat auch das hingekriegt: Er ist wirklich ein freier Mann geworden. Ganz ungebunden, ohne Familie und ohne Haus, nur ein paar Hunde und ein Zelt. Er war der einzige wirklich freie Mensch, den ich je kennengelernt habe.«
»War?«
»War. Drei Monate lang war der Bursche tatsächlich ziemlich frei, und
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