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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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und sie trafen sich von da an öfter und verliebten sich schon bald ineinander. Alle fanden, dass sie ein wundervolles, freudestrahlendes Paar abgaben. Im Sommer 1955 heirateten sie. Sie waren überglücklich und wünschten sich viele Kinder, mindestens sechs, drei Jungen und drei Mädchen, fröhliche, lachende Kinder, die das Haus in der Lower Street, welches das junge Paar vor Kurzem bezogen hatte, mit Leben erfüllten. Aber Louisa wollte einfach nicht schwanger werden. Sie konsultierte mehrere Spezialisten, anfangs ohne Erfolg. Im Sommer 1959 endlich verkündete ihr Arzt ihr die frohe Botschaft: Sie erwartete ein Baby.
    Am 12. April 1960 brachte Louisa Kellergan im städtischen Krankenhaus von Jackson ihr erstes und einziges Kind zur Welt.
    »Es ist ein Mädchen«, informierte der Arzt David Kellergan, der auf dem Korridor auf und ab marschiert war.
    »Ein Mädchen!«, rief Reverend Kellergan glückstrahlend. Er eilte zu seiner Frau, die das Neugeborene in den Armen hielt. Er umarmte sie und betrachtete das Baby mit den noch geschlossenen Augen. Das blonde Haar der Mutter war bereits zu erahnen.
    »Wie wäre es, wenn wir sie Nola nennen?«, schlug Louisa vor.
    Der Reverend fand diesen Vornamen sehr schön und nickte.
    »Willkommen, Nola«, begrüßte er seine Tochter.
    In den folgenden Jahren wurden die Kellergans bei jeder Gelegenheit als Vorbild zitiert: der gütige Vater, die sanftmütige Mutter und ihre wunderbare Tochter. David Kellergan verausgabte sich: Er sprühte nur so vor Ideen und Plänen, bei denen ihn seine Frau stets tatkräftig unterstützte. Aus Freundschaft zu Pfarrer Jeremy Lewis, mit dem David Kellergan seit ihrer ersten Begegnung an jenem stürmischen Tag vor knapp zehn Jahren engen Kontakt gehalten hatte, fuhren sie im Sommer sonntags oft zum Picknick in die Gemeinde der Neuen Erlöserkirche. Die Menschen, die sie damals kannten, sprachen alle bewundernd über die glückliche Familie Kellergan.

    »Ich bin nie Menschen begegnet, die glücklicher wirkten als sie«, erzählte uns Pfarrer Lewis. »David und Louisa liebten sich abgöttisch – als hätte der Herr sie füreinander bestimmt. Und sie waren großartige Eltern. Nola war ein ganz besonderes kleines Mädchen, so lebhaft und goldig. Diese Familie machte einem Lust, selbst eine Familie zu gründen, und ließ einen an die Menschheit glauben. Es war eine Freude, sie zu erleben, vor allem in den finsteren 1960er-Jahren, als Alabama von den Rassenunruhen gebeutelt wurde.«
    »Aber dann kam alles anders«, wagte sich Gahalowood vor.
    »Ja.«
    »Inwiefern?«
    Langes Schweigen. Pfarrer Lewis’ Gesicht wirkte plötzlich eingefallen. Wieder stand er auf, weil er nicht ruhig sitzen konnte, und ging im Zimmer auf und ab. »Warum müssen wir das wieder ausgragen?«, klagte er. »Es ist so lange her …«
    »Reverend Lewis: Was ist 1969 passiert?«
    Der Pfarrer drehte sich zu einem großen Kreuz an der Wand um und sagte: »Wir haben ihr den Teufel ausgetrieben. Aber es ist nicht vollständig gelungen.«
    »Was?« , stieß Gahalowood hervor. »Was reden Sie da?«
    »Wir haben die kleine Nola exorziert. Aber es war ein Misserfolg. Ich glaube, in ihr steckte einfach zu viel Böses.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Der Brand … Die Brandnacht … Die Dinge in jener Nacht haben sich anders zugetragen, als David Kellergan der Polizei erzählt hat. Er war tatsächlich am Sterbebett einer Frau aus der Gemeinde. Als er gegen ein Uhr morgens nach Hause kam, stand das Haus in Flammen. Aber … Wie soll ich sagen … Es hat sich anders abgespielt, als David Kellergan es der Polizei erzählt hat.«

    30. August 1969
    Jeremy Lewis schlief so fest, dass er das Klingeln an der Tür nicht hörte. Seine Frau Matilda ging öffnen und kam sofort zurück, um ihn zu wecken. Es war vier Uhr morgens. »Jeremy, wach auf!«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Es ist etwas Schreckliches passiert … Reverend Kellergan ist hier … Es hat gebrannt. Louisa ist … umgekommen.«
    Lewis sprang mit einem Satz aus dem Bett. Er fand den Reverend verstört und in sich zusammengesunken im Wohnzimmer. Er weinte. Seine Tochter saß neben ihm. Matilda nahm Nola mit, um sie im Gästezimmer ins Bett zu bringen.
    »Gütiger Gott, David! Was ist passiert?«, fragte Lewis.
    »Es hat gebrannt … Das Haus ist abgebrannt. Louisa ist tot. Sie ist tot!« David Kellergan konnte nicht länger an sich halten. Er brach in seinem Sessel zusammen und ließ den Tränen freien Lauf. Er zitterte

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