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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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hatten, ins Bild gesetzt hatten und den Gahalowood gebeten hatte, uns zu begleiten, um David Kellergan zu beschwichtigen.
    Als Letzterer uns vor seiner Tür stehen sah, verkündete er augenblicklich: »Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Weder Ihnen noch sonst wem.«
    »Aber ich habe Ihnen etwas zu sagen«, erklärte Gahalowood ruhig. »Ich weiß, was im März 1969 in Alabama geschehen ist. Ich weiß von dem Brand. Ich weiß alles.«
    »Gar nichts wissen Sie.«
    »Du solltest sie anhören«, sagte Travis. »Nun mach schon auf, David. Drinnen redet es sich besser.«
    Schließlich gab David Kellergan nach. Er ließ uns herein und führte uns in die Küche. Dort schenkte er sich eine Tasse Kaffee ein, ohne uns welchen anzubieten, und setzte sich an den Tisch. Gahalowood und Travis nahmen ihm gegenüber Platz, ich blieb im Hintergrund stehen.
    »Also?«, fragte Kellergan.
    »Ich bin nach Jackson geflogen«, begann Gahalowood. »Ich habe mit Pfarrer Jeremy Lewis gesprochen und weiß, was Nola getan hat.«
    »Seien Sie still!«
    »Sie litt unter einer Kindheitspsychose. Sie hatte Anfälle von Schizophrenie. Am 30. August 1969 hat sie das Zimmer ihrer Mutter angezündet.«
    »Nein!«, schrie David Kellergan. »Sie lügen!«
    »Als Sie an jenem Abend nach Hause kamen, stand Nola singend auf der Veranda. Später, als Sie herausgefunden hatten, was passiert war, haben Sie ihr den Teufel ausgetrieben. Sie dachten, es wäre zu ihrem Besten, aber es machte alles noch schlimmer. Danach litt sie phasenweise unter einer Persönlichkeitsspaltung und versuchte, sich selbst zu bestrafen. Deshalb sind Sie weit aus Alabama weg gegangen, quer durchs ganze Land, in der Hoffnung, die Geister abzuschütteln, aber das Gespenst Ihrer Frau hat Sie beide verfolgt, weil es immer noch in Nolas Kopf herumspukte.«
    Eine Träne lief über seine Wange. »Sie hatte manchmal diese Zustände«, flüsterte er mit erstickter Stimme. »Ich konnte nichts dagegen tun. Dann hat sie sich selbst gezüchtigt. Sie war Tochter und Mutter in einem, hat sich geschlagen und dann selbst angefleht, damit aufzuhören.«
    »Und Sie haben die Musik aufgedreht und sich in die Garage zurückgezogen, weil es unerträglich war.«
    »Ja! Unerträglich! Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Meine Tochter, meine geliebte Tochter, war so krank.« Er begann zu schluchzen. Voller Entsetzen über das, was er da zu hören bekam, starrte Travis ihn an.
    »Warum haben Sie sie nicht behandeln lassen?«, wollte Gahalowood wissen.
    »Ich hatte Angst, dass man sie mir wegnimmt, dass man sie einsperrt! Außerdem wurden die Anfälle mit der Zeit immer seltener. Ein paar Jahre hatte ich den Eindruck, als würde sich die Erinnerung an das Feuer allmählich verflüchtigen, ja ich glaubte sogar, diese Krisen würden irgendwann ganz ausbleiben. Es wurde immer besser – bis zum Sommer 1975. Plötzlich und ohne dass ich es mir erklären konnte, hatte sie wieder eine Serie schlimmer Anfälle.«
    »Wegen Harry«, sagte Gahalowood. »Die Begegnung mit Harry hat sie emotional überfordert.«
    »Es war ein grauenhafter Sommer«, berichtete der alte Kellergan. »Ich spürte, wie sich die Krisen anbahnten, ich konnte sie fast vorhersagen. Es war entsetzlich. Sie schlug sich mit dem Lineal auf Finger und Brüste. Oder sie füllte eine Wanne mit Wasser, tauchte ihren Kopf unter und flehte zwischendurch ihre Mutter an, damit aufzuhören. Und belegte sich dann wieder in der Stimme ihrer Mutter mit den schlimmen Beschimpfungen.«
    »Dieses Untertauchen, das hatten Sie vorher mit ihr praktiziert, nicht wahr?«
    »Jeremy Lewis hat geschworen, dass es kein anderes Mittel dagegen gibt! Ich hatte gehört, dass er sich als Exorzist betätigte, aber ich hatte mit ihm nie darüber gesprochen. Plötzlich hat er behauptet, das Böse hätte von Nolas Körper Besitz ergriffen und man müsste sie davon erlösen. Ich habe nur eingewilligt, damit er Nola nicht anzeigt. Jeremy war total verrückt, aber was hätte ich tun sollen? Ich hatte doch keine Wahl … In diesem Land steckt man auch Kinder ins Gefängnis!«
    »Nola ist wiederholt von zu Hause ausgerissen, richtig?«
    »Ja, ein paarmal. Einmal ist sie eine ganze Woche weggeblieben. Ich weiß es noch ganz genau, es war Ende Juli 1975. Was hätte ich tun sollen? Die Polizei rufen? Und was hätte ich ihr erzählt? Dass meine Tochter langsam dem Wahnsinn verfiel? Ich beschloss, bis zum Wochenende zu warten, bevor ich Alarm schlug. Ich habe sie die ganze Woche lang überall Tag

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