Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
ihn zum Bezirksrevier und übernahm es höchstpersönlich, die üblichen Fotos von ihm zu machen und seine Fingerabdrücke elektronisch zu erfassen. Die Daten, die kurz darauf über seinen Computerbildschirm flimmerten, verschlugen ihm kurzzeitig die Sprache. Dann griff er, obwohl es halb zwei Uhr morgens war, zum Telefonhörer, weil er fand, dass seine Entdeckung wichtig genug war, um Sergeant Perry Gahalowood von der Mordkommission der State Police aus dem Bett zu holen. Drei Stunden später, gegen halb fünf, wurde ich meinerseits von einem Anruf aus dem Schlaf gerissen.
»Schriftsteller? Gahalowood am Apparat. Wo sind Sie?«
»Sergeant?«, antwortete ich schlaftrunken. »In New York, in meinem Bett. Wo sonst? Was ist los?«
»Wir haben den Vogel«, verkündete er.
»Wie bitte?«
»Den Brandstifter, der Harrys Haus angezündet hat … Wir haben ihn heute Nacht verhaftet.«
»Was?«
»Sitzen Sie?«
»Nein, ich liege.«
»Umso besser. Das wird Sie nämlich umhauen.«
2.
Ende der Partie
»Manchmal wird Sie Mutlosigkeit überkommen, Marcus. Das ist normal. Ich habe Ihnen gesagt, dass Schreiben wie Boxen ist, aber es ist auch wie Laufen. Deshalb schicke ich Sie ständig zum Joggen, denn wenn Sie die Willensstärke haben, trotz Regen oder Kälte lange Strecken zurückzulegen, wenn Sie bis zum Ende durchhalten und Ihre ganze Kraft und Ihr ganzes Herzblut aufbieten, um Ihr Ziel zu erreichen, dann sind Sie auch in der Lage, so zu schreiben. Lassen Sie sich nie von Erschöpfung oder Angst abhalten. Im Gegenteil, setzen Sie sie ein, um voranzukommen.«
Noch völlig benommen von der Neuigkeit, stieg ich vormittags in einen Flieger nach Manchester. Wir landeten um dreizehn Uhr, und eine halbe Stunde später kam ich am Polizeihauptquartier an. Gahalowood holte mich am Empfang ab.
»Robert Quinn!«, rief ich bei seinem Anblick, als könnte ich es immer noch nicht glauben. »Er hat also das Haus angezündet? Und er hat mir auch diese Nachrichten geschickt?«
»Ja, Schriftsteller. Die Fingerabdrücke auf dem Benzinkanister waren von ihm.«
»Warum hat er das getan?«
»Wenn ich das wüsste! Er hat den Mund bisher nicht aufgemacht. Er weigert sich, etwas zu sagen.«
Gahalowood führte mich in sein Büro und bot mir Kaffee an. Dann berichtete er, dass die Kriminalpolizei frühmorgens das Haus der Quinns durchsucht hatte.
»Und was haben Sie gefunden?«, fragte ich.
»Nichts«, antwortete Gahalowood. »Gar nichts.«
»Und was hat seine Frau dazu gesagt?«
»Das war merkwürdig. Wir sind um halb acht bei ihnen aufgekreuzt, aber sie war kaum wachzukriegen. Sie schlief tief und fest und hatte die Abwesenheit ihres Mannes nicht einmal bemerkt.«
»Er pumpt sie mit Tabletten voll«, erklärte ich.
»Was?«
»Robert Quinn verabreicht seiner Frau heimlich Schlafmittel, wenn er seine Ruhe haben will. Wahrscheinlich hat er das auch heute Nacht getan, damit sie nichts mitkriegt. Aber was sollte sie nicht mitkriegen? Was hat er mitten in der Nacht getrieben? Und warum war er voller Schlamm? Ob er etwas vergraben hat?«
»Das ist wirklich rätselhaft … Aber ohne Geständnis kann ich ihm nichts anhängen.«
»Da ist immer noch der Benzinkanister.«
»Sein Anwalt hat bereits mitgeteilt, dass Robert ihn am Strand gefunden hat. Angeblich ist er unlängst dort spazieren gegangen, hat den Kanister herumliegen sehen, ihn aufgehoben und ins Gebüsch geworfen, damit sich andere Spaziergänger nicht daran stören. Wir brauchen mehr Beweise, sonst ist es für seinen Anwalt ein Kinderspiel, uns abblitzen zu lassen.«
»Wer ist sein Anwalt?«
»Das werden Sie kaum glauben können.«
»Sagen Sie es mir trotzdem.«
»Benjamin Roth.«
Ich seufzte. »Und jetzt denken Sie, dass Robert Quinn Nola getötet hat?«, fragte ich.
»Sagen wir, alles ist möglich.«
»Lassen Sie mich mit ihm reden.«
»Kommt nicht infrage.«
In diesem Augenblick betrat ein Mann, ohne anzuklopfen, das Büro, und Gahalowood stand sofort stramm. Es war Lansdane, der Chef der State Police. Er wirkte ungehalten.
»Ich habe den ganzen Vormittag am Telefon gehangen und mit dem Gouverneur, mit der Presse und mit diesem unmöglichen Anwalt namens Roth gesprochen.«
»Mit der Presse? Worum ging es denn?«
»Um den Mann, den Sie heute Nacht verhaftet haben.«
»Ich glaube, wir haben jetzt eine ernsthafte Spur, Sir.«
Der Chief legte Gahalowood freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Perry … so kann es nicht weitergehen.«
»Was soll das
Weitere Kostenlose Bücher