Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
einen Niederwald. Das brachte uns nicht viel weiter.
»Wie genau hat es sich abgespielt?«, wollte Gahalowood wissen.
»Ich kam aus Montburry. Eine routinemäßige Streife. Und plötzlich kam dieses Auto angerast.«
»Von wo?«
»Na, von der Kreuzung fünf- oder sechshundert Meter weiter vorn.«
»Was ist das für eine Kreuzung?«
»Ich kann Ihnen auch nicht sagen, was das für eine Kreuzung ist, aber auf jeden Fall ist da eine, und zwar mit einem Stoppschild. Ich weiß, dass dort ein Stoppschild ist, weil es das Einzige auf diesem Streckenabschnitt ist.«
»Da vorne ist also ein Stoppschild?«, fragte Gahalowood nach und blickte in die Ferne.
»Da vorne ist ein Stoppschild«, bestätigte Forsyth.
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich rief: »Es ist die Straße zum See!«
»Zum See?«, wiederholte Gahalowood.
»Es ist die Kreuzung mit der Straße, die zum See von Montburry führt.«
Wir fuhren bis zur Kreuzung und bogen in die Straße zum See ein. Nach hundert Metern erreichten wir den Parkplatz. Die nähere Umgebung des Sees sah wüst aus: Der letzte wolkenbruchartige Herbstregen hatte die Ufer regelrecht umgepflügt. Wo man auch hinsah, nichts als Schlamm.
Dienstag, 11. November 2008, acht Uhr
Eine Polizeikolonne rückte auf dem Parkplatz am See an. Gahalowood und ich warteten schon seit geraumer Zeit in seinem Wagen. Als ich die Lieferwagen der Polizeitaucher sah, fragte ich ihn: »Sind Sie sich Ihrer Sache sicher, Sergeant?«
»Nein, aber das ist unsere letzte Chance.«
Es war unsere letzte Karte, das Ende der Partie. Robert Quinn war mit Sicherheit hier gewesen. Er war durch den Schlamm zum Ufer gestapft, um etwas in den See zu werfen. Das vermuteten wir zumindest.
Wir stiegen aus und gingen zu den Einsatztauchern, die sich gerade bereitmachten. Ihr Chef erteilte ihnen ein paar Anweisungen, dann wandte er sich an Gahalowood. »Was suchen wir, Sergeant?«, fragte er.
»Alles, ganz egal, was. Dokumente, eine Waffe … Keine Ahnung. Irgendwas, das wir mit dem Fall Kellergan in Verbindung bringen können.«
»Sie wissen, dass dieser See eine Müllkippe ist? Wenn Sie also etwas präziser sein könnten …«
»Ich glaube, das, was wir suchen, ist so auffällig, dass Ihre Jungs es schon erkennen werden, wenn sie es in die Finger kriegen. Aber noch weiß ich nicht, was es sein könnte.«
»Und auf welcher Höhe des Sees, würden Sie sagen?«
»In unmittelbarer Ufernähe. Sagen wir in Wurfweite. Ich würde mit dem gegenüberliegenden Ufer anfangen. Unser Tatverdächtiger hatte schlammige Hosenbeine und einen Kratzer im Gesicht, vermutlich von einem tief hängenden Zweig. Bestimmt wollte er sein Objekt dort verstecken, wo niemand Lust hat, danach zu suchen. Deshalb glaube ich, dass er ans andere Ufer gegangen ist, weil es mit Gestrüpp und Brombeersträuchern zugewachsen ist.«
Die Suche begann. Wir postierten uns in der Nähe des Parkplatzes am Seeufer und sahen zu, wie die Taucher im Wasser verschwanden. Es war eiskalt. Eine Stunde verging, ohne dass etwas passierte. Wir blieben in der Nähe des Chefs der Taucher, um die raren Funksprüche zu verfolgen.
Um halb zehn rief Lansdane Gahalowood an, um ihm den Kopf zu waschen. Er schrie so laut ins Telefon, dass ich das Gespräch mithören konnte: »Sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist, Perry!«
»Dass was nicht wahr ist, Chief?«
»Dass Sie die Taucher losgeschickt haben!«
»Doch, Sir.«
»Sie sind total übergeschnappt! Sie verbrennen sich die Finger! Für diese Eigenmächtigkeit könnte ich Sie suspendieren! Um siebzehn Uhr halte ich die Pressekonferenz ab. Sie werden daran teilnehmen. Sie werden bekannt geben, dass die Ermittlungen hiermit eingestellt werden. Und dann dürfen Sie sich mit den Journalisten herumschlagen. Ich halte Ihnen nicht länger den Rücken frei, Perry! Ich habe die Nase gestrichen voll!«
»Geht klar, Sir.« Er legte auf. Wir schwiegen eine Weile.
Noch eine Stunde verstrich. Die Suche blieb ergebnislos. Trotz der Kälte hatten Gahalowood und ich unseren Beobachtungsposten nicht geräumt. Schließlich sagte ich: »Sergeant, und wenn …«
»Seien Sie still, Schriftsteller. Bitte! Sagen Sie nichts. Verschonen Sie mich mit Ihrer Fragerei und Ihren Zweifeln.«
Wir warteten weiter. Plötzlich fing das Funkgerät des Einsatzleiters an zu rauschen. Es tat sich etwas. Ein paar seiner Männer tauchten auf. Die Aufregung war groß. Alles stürzte ans Wasser.
»Was ist?«, fragte Gahalowood ihn.
»Sie
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