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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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ist vollkommen unsinnig! Ich habe ihnen auch gesagt, dass ich nicht weiß, wie das Manuskript dort hingekommen ist, und dass ich diesen Roman für und über Nola geschrieben habe, bevor sie verschwunden ist. Dass Nola und ich uns geliebt haben. Dass wir in dem Sommer, in dem sie verschwunden ist, eine Liebesbeziehung hatten und ich diese zum Thema meines Romans gemacht habe, von dem ich damals zwei Manuskripte besaß: ein handgeschriebenes Original und eine Schreibmaschinenfassung. Nola interessierte sich sehr für meine Texte und half mir dabei, sie ins Reine zu schreiben. Die getippte Fassung des Manuskripts konnte ich eines Tages nicht mehr finden. Das war Ende August, kurz bevor Nola verschwand … Ich ging davon aus, dass Nola sie mitgenommen hatte, um sie zu lesen, wie sie es manchmal tat. Sie las meine Texte und sagte mir anschließend ihre Meinung. Sie nahm sie mit, ohne mich zu fragen … Aber dieses Mal konnte ich sie nicht mehr fragen, ob sie mein Manuskript genommen hatte, weil sie verschwunden war. Mir blieb nur das handgeschriebene Exemplar. Bei dem Roman handelte es sich um Der Ursprung des Übels , also um das Buch, das ein paar Monate später so großen Erfolg hatte, wie Sie wissen.«
    »Sie haben dieses Buch also wirklich für Nola geschrieben?«
    »Ja. Im Fernsehen hieß es, dass man überlegt, es aus dem Handel zu nehmen.«
    »Was war das zwischen Nola und Ihnen?«
    »Eine Liebesgeschichte, Marcus. Ich war wahnsinnig in sie verliebt. Und ich glaube, das war mein Untergang.«
    »Was hat die Polizei noch gegen Sie in der Hand?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Was ist mit der Schachtel? Wo ist die Schachtel mit dem Brief und den Fotos? Ich habe sie nirgendwo mehr finden können.«
    Ihm blieb keine Zeit zu antworten, weil in diesem Moment die Tür aufging. Harry bedeutete mir zu schweigen. Es war Roth. Während er auf unseren Tisch zusteuerte und sich setzte, schnappte sich Harry unauffällig das Notizbuch, das vor mir lag, und schrieb ein paar Worte hinein.
    Roth erging sich in langatmigen Erklärungen über den bisherigen Verlauf des Falls und die weitere Vorgehensweise. Nach einem halbstündigen Monolog fragte er Harry: »Gibt es womöglich etwas in Bezug auf Nola, was Sie mir noch nicht mitgeteilt haben? Ich muss alles wissen, das ist sehr wichtig.«
    Schweigen. Harry musterte uns lange, dann sagte er: »Es gibt da tatsächlich etwas, das Sie wissen sollten. Es betrifft den 30. August 1975. An dem Abend, an dem Nola verschwand, wollte sie sich mit mir treffen …«
    »Mit Ihnen treffen?«, wiederholte Roth.
    »Die Polizei hat mich gefragt, was ich am Abend des 30. August 1975 gemacht habe, und ich habe gesagt, dass ich nicht in der Stadt war. Das war gelogen. Es ist der einzige Punkt, in dem ich nicht die Wahrheit gesagt habe. Am fraglichen Abend befand ich mich unweit von Aurora in einem Zimmer eines an der Route 1 Richtung Maine gelegenen Motels. Es heißt Sea Side Motel und existiert immer noch. Ich saß in Zimmer 8 auf dem Bett und wartete, parfümiert wie ein Teenager und mit einem Armvoll blauer Hortensien, ihren Lieblingsblumen. Wir waren für neunzehn Uhr verabredet, und ich weiß noch genau, wie ich wartete und sie nicht kam. Um einundzwanzig Uhr war sie bereits seit zwei Stunden überfällig. Sie hatte sich noch nie verspätet. Noch nie! Ich legte die Hortensien zum Wässern ins Waschbecken und schaltete zur Unterhaltung das Radio ein. Es war ein schwüler, gewittriger Abend, und mir war heiß. Ich kam in meinem Anzug fast um. Ich zog den Brief heraus und las ihn noch zehnmal, vielleicht noch hundertmal. Den Brief, den sie mir wenige Tage zuvor geschrieben hatte, diesen kurzen Liebesbrief, den ich nie werde vergessen können:
    Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, Harry, ich schaffe es schon irgendwie zu unserem Treffpunkt. Warten Sie in Zimmer 8 auf mich. Ich liebe diese Zahl, das ist meine Lieblingszahl. Warten Sie dort um neunzehn Uhr auf mich. Und dann gehen wir für immer fort.
    Ich liebe Sie so!
    In Zärtlichkeit,
    Nola
    Ich weiß noch, wie der Radiosprecher die Uhrzeit ansagte: zweiundzwanzig Uhr. Zweiundzwanzig Uhr und noch immer keine Nola. Irgendwann schlief ich angekleidet auf dem Bett ein. Als ich die Augen wieder aufschlug, war die Nacht vorbei. Das Radio lief immer noch, es waren die Sieben-Uhr-Nachrichten: Großalarm in der Gegend von Aurora nach dem Verschwinden der fünfzehnjährigen Nola Kellergan gestern Abend gegen neunzehn Uhr. Die Polizei bittet die Bevölkerung

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