Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
prasselnden Regen.
Er war ganz durcheinander. Wer war dieses Mädchen? Sein Herz schlug wie wild. Lange blieb er reglos unter der Terrasse stehen, bis sich der Abend herabsenkte. Doch er nahm weder den Regen noch die Dunkelheit richtig wahr. Er fragte sich, wie alt Nola wohl war. Zu jung, das wusste er. Aber er war von ihr hingerissen. Sie hatte seine Seele entflammt.
Ein Anruf von Douglas holte mich in die Realität zurück. Zwei Stunden waren vergangen; es dunkelte bereits. Im Kamin schwelte nur noch die Glut.
»Alle reden über dich«, sagte Douglas. »Kein Mensch versteht, was du in New Hampshire verloren hast …Alle glauben, dass du dabei bist, die größte Dummheit deines Lebens zu begehen.«
»Alle wissen, dass Harry und ich Freunde sind. Ich kann nicht einfach die Hände in den Schoß legen.«
»Aber hier geht es um etwas anderes, Marc. Da sind diese Morde und dieses Buch. Ich glaube, dir ist die Tragweite des Skandals nicht bewusst. Barnaski ist stinksauer, er ahnt, dass du keinen neuen Roman für ihn hast. Er behauptet, dass du dich in New Hampshire verkriechst. Und er hat nicht ganz unrecht … Heute ist der 17. Juni, Marc. In dreizehn Tagen läuft die Frist ab. In dreizehn Tagen bist du erledigt.«
»Herrgott, glaubst du, das weiß ich nicht? Hast du mich deshalb angerufen? Um mich daran zu erinnern, in welcher Lage ich mich befinde?«
»Nein, ich habe dich angerufen, weil ich eine Idee habe.«
»Eine Idee? Ich höre!«
»Schreib ein Buch über den Fall Harry Quebert.«
»Was? Kommt nicht infrage! Ich werde meine Karriere nicht auf Harrys Kosten wiederankurbeln.«
»Warum denn auf seine Kosten? Du hast doch gesagt, dass du ihn verteidigen willst. Beweise seine Unschuld, und schreib ein Buch über alles. Stell dir doch mal vor, wie das einschlagen würde!«
»Und das alles in zehn Tagen?«
»Ich habe Barnaski gut zugeredet …«
»Du hast was ?«
»Hör mich erst mal an, bevor du in die Luft gehst, Marc. Barnaski wittert Gold: Marcus Goldman rollt den Fall Harry Quebert auf – davon verspricht er sich einen Umsatz in siebenstelliger Höhe! Es könnte das Buch des Jahres werden. Er ist bereit, neu zu verhandeln. Er schlägt dir vor, reinen Tisch zu machen: einen anderen Vertrag mit ihm zu schließen, durch den der alte aufgehoben wird, plus einen Vorschuss von einer halben Million Dollar. Weißt du, was das heißt?«
Was das hieß? Dieses Buch würde meine Karriere wiederanschieben. Es würde garantiert ein Bestseller werden, der Erfolg wäre vorprogrammiert, und obendrein winkte mir ein Haufen Geld.
»Warum sollte Barnaski das für mich tun?«
»Er tut es nicht für dich, sondern für sich. Marc, du machst dir keine Vorstellung, dieser Fall ist hier Thema Nummer eins! So ein Buch wäre der Coup des Jahrhunderts!«
»Ich glaube nicht, dass ich dazu in der Lage bin. Ich kann nicht mehr schreiben. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich es jemals konnte. Und Nachforschungen anstellen … Das ist Sache der Polizei. Ich habe keine Ahnung, wie man das macht.«
Douglas ließ sich nicht abwimmeln: »Marc, das ist die Chance deines Lebens.«
»Ich werde darüber nachdenken.«
»Wenn du das sagst, heißt das, dass du nicht darüber nachdenken wirst.«
Über den letzten Satz mussten wir beide lachen. Er kannte mich gut.
»Doug … Kann man sich in eine Fünfzehnjährige verlieben?«
»Nein.«
»Wieso bist du dir so sicher?«
»Sicher bin ich mir überhaupt nicht.«
»Was ist Liebe eigentlich?«
»Oh, Marc, verschone mich! Bitte jetzt keine philosophischen Diskurse …«
»Aber, Douglas, er hat sie geliebt! Harry hat sich wahnsinnig in dieses Mädchen verliebt. Das hat er mir heute im Gefängnis erzählt. Er war unterhalb von seinem Haus am Strand, hat sie gesehen und sich in sie verliebt. Warum in sie und nicht in eine andere?«
»Keine Ahnung, Marc. Aber ich wüsste zu gerne, was dich so mit Quebert verbindet.«
»Der Fabelhafte« , erwiderte ich.
»Wer?«
» Der Fabelhafte . Ein junger Mann, der im Leben nichts auf die Reihe bekommen hat – bis er Harry begegnet ist. Harry hat mir beigebracht, wie ich Schriftsteller werde. Er hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, fallen zu können.«
»Was faselst du da, Marc? Hast du getrunken? Du bist Autor, weil du talentiert bist.«
»Nein, eben nicht. Man kommt nicht als Schriftsteller auf die Welt, man wird es.«
»Das ist also 1998 in Burrows passiert?«
»Ja. Er hat mir sein ganzes Wissen vermittelt … Ich verdanke ihm
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