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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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Aufschrift:
    SEA SIDE MOTEL & RESTAURANT
seit 1960
    Diesen Ort, an dem Harry auf Nola gewartet hatte, gab es schon ewig. Bestimmt war ich hundertmal daran vorbeigefahren, ohne ihm die geringste Beachtung zu schenken – warum hätte ich das bis zum heutigen Tag auch tun sollen? Es war ein von einem Rosengarten umgebenes Holzgebäude mit rotem Dach. Gleich dahinter begann der Wald. Sämtliche Zimmer im Erdgeschoss gingen direkt zum Parkplatz; die im ersten Stock erreichte man über eine Außentreppe.
    Der Angestellte an der Rezeption erklärte mir, dass sich das Motel seit seiner Erbauung kaum verändert hatte, lediglich die Zimmer waren irgendwann modernisiert und ein Restaurant angebaut worden. Zum Beweis holte er das Buch hervor, das anlässlich des vierzigjährigen Bestehens gedruckt worden war, und zeigte mir die alten Fotos.
    »Warum interessieren Sie sich so für das Motel?«, fragte er schließlich.
    »Weil ich eine sehr wichtige Auskunft benötige«, erwiderte ich.
    »Ich höre.«
    »Ich möchte wissen, ob in der Nacht vom Samstag, den 30. August, auf Sonntag, den 31. August 1975, jemand in Zimmer 8 geschlafen hat.«
    Er brach in Gelächter aus. »1975? Ist das Ihr Ernst? Seit wir auf Computer umgestellt haben, können wir das Gästeregister maximal zwei Jahre zurückverfolgen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen sagen, wer am 30. August 2006 darin geschlafen hat. Rein theoretisch, meine ich, weil ich nämlich nicht befugt bin, Ihnen solche Auskünfte zu geben.«
    »Also gibt es keine Möglichkeit, das herauszufinden?«
    »Die einzigen Daten, die wir abgesehen vom Register speichern, sind die E-Mail-Adressen für unseren Newsletter. Haben Sie vielleicht Interesse, unseren Newsletter zu erhalten?«
    »Nein, danke. Aber ich würde mich gern in Zimmer 8 umsehen, wenn das möglich ist.«
    »Darin umsehen können Sie sich leider nicht, aber das Zimmer ist frei. Möchten Sie es für die Nacht mieten? Das macht hundert Dollar.«
    »Auf Ihrem Schild steht, dass alle Zimmer fünfundsiebzig Dollar kosten. Wissen Sie was? Ich gebe Ihnen zwanzig Dollar, Sie zeigen mir das Zimmer, und alle sind zufrieden.«
    »Sie sind ein zäher Verhandlungspartner, aber einverstanden.«
    Zimmer 8 befand sich im ersten Stock. Es war ein vollkommen durchschnittliches Zimmer mit einem Bett, einer Minibar, einem Fernseher, einem kleinen Schreibtisch und einem Bad.
    »Warum interessieren Sie sich so für dieses Zimmer?«, wollte der Angestellte wissen.
    »Das ist kompliziert. Ein Freund hat mir gesagt, dass er vor dreißig Jahren hier übernachtet hat. Wenn das stimmt, bedeutet das, dass er unschuldig ist an den Verbrechen, die man ihm zur Last legt.«
    »Und was für Verbrechen sind das?«
    Ich antwortete nicht darauf, sondern fragte weiter: »Warum heißt das Motel eigentlich Sea Side Motel? Das Meer ist gar nicht zu sehen.«
    »Nein, aber es gibt einen Weg, der durch den Wald zum Strand führt. Das steht auch im Prospekt. Aber den Leuten, die hier absteigen, ist das egal, die gehen sowieso nicht an den Strand.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass man von Aurora aus auch hierherkommt, wenn man immer am Meer entlang und dann durch den Wald geht?«
    »Rein theoretisch, ja.«
    Den Rest des Tages verbrachte ich in der Gemeindebibliothek, um die Archive zu durchforsten und die Vergangenheit zu rekonstruieren. Dabei war mir Erne Pinkas eine große Hilfe: Ohne auf die Zeit zu achten, unterstützte er mich bei meinen Recherchen.
    Damaligen Zeitungsberichten zufolge war am Tag des Verschwindens niemandem etwas Ungewöhnliches aufgefallen: Weder hatte jemand gesehen, wie Nola sich davonmachte, noch hatte man irgendwen bemerkt, der sich in der Nähe ihres Elternhauses herumgetrieben hätte. Ihr Verschwinden blieb in aller Augen ein großes Rätsel, das durch den Mord an Deborah Cooper noch verstärkt wurde. Gleichwohl hatten einige Zeugen – im Wesentlichen Nachbarn – ausgesagt, an jenem Tag aus dem Haus der Kellergans Lärm und Schreie gehört zu haben, während andere berichtet hatten, es habe sich bei dem Lärm um Musik gehandelt, die der Reverend besonders laut gestellt hatte, wie es seine Gewohnheit gewesen sei. Nachforschungen des Aurora Star hatten ergeben, dass Nolas Vater oft in seiner Garage werkelte und dabei immer Musik hörte. Er stellte die Musik so laut, dass sie den Lärm seiner Werkzeuge übertönte, weil er sich sagte, dass gute Musik, selbst wenn sie zu laut war, immer noch besser war als Hammerschläge. Aber falls seine Tochter ihn

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