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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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viel, und die Bevölkerung hätte mich für einen großen Star aus New York gehalten. Von einem Tag auf den anderen war ich jemand. Der angesehene Schriftsteller, der ich in New York nicht sein konnte, der war ich in Aurora. Ich hatte der Gemeindebücherei ein paar Exemplare von meinem ersten Roman geschenkt, die ich mitgebracht hatte, und stellen Sie sich vor: Dieser lausige Haufen Papier, von dem man in New York nichts hatte wissen wollen, löste hier in Aurora Begeisterung aus. Das alles war 1975 in einer Kleinstadt in New Hampshire möglich, die, lange bevor es Internet und all diese neuartigen Technologien gab, nach ihrer Daseinsberechtigung suchte und in mir den local hero fand, von dem sie immer geträumt hatte.

    Gegen dreiundzwanzig Uhr kehrte ich nach Goose Cove zurück. Als ich in die schmale Kiesauffahrt einbog, tauchte im Lichtkegel meiner Scheinwerfer eine maskierte Gestalt auf, die sofort im Wald verschwand. Ich machte eine Vollbremsung, sprang mit einem Schrei aus dem Wagen und wollte schon die Verfolgung des Eindringlings aufnehmen, als ein heller Lichtschein meinen Blick auf sich zog: Am Haus brannte es. Ich rannte hin, um nachzusehen: Harrys Corvette stand in Flammen. Sie schlugen bereits sehr hoch, und eine beißende Rauchsäule stieg in den Himmel. Ich rief nach Hilfe, aber da war niemand. Um mich herum war nichts als Wald. Die Scheiben der Corvette barsten in der Hitze, das Blech schmolz, und die Flammen loderten höher und höher und züngelten an den Garagenmauern. Ich konnte nichts tun. Es würde alles niederbrennen.

26.
    N-O-L-A
    Aurora, New Hampshire, Samstag, 14. Juni 1975
    »Schriftsteller sind so zerbrechliche Wesen, Marcus, weil sie zwei Arten von Seelenqual kennen, also doppelt so viele wie normale Menschen: den Liebeskummer und den ›Bücherkummer‹. Ein Buch zu schreiben ist, wie jemanden zu lieben: Es kann sehr wehtun.«

DIENSTANWEISUNG
AN DAS GESAMTE PERSONAL
    Wie ihr sicher bemerkt habt, kommt Harry Quebert seit einer Woche täglich zum Mittagessen in unser Lokal. Mr Quebert ist ein berühmter Schriftsteller aus New York; ihm sollte daher besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Seinen Bedürfnissen ist mit größtmöglicher Diskretion nachzukommen. Er ist vor allem nicht zu stören.
    Tisch 17 ist bis auf Weiteres für ihn reserviert. Er ist stets für ihn frei zu halten.
    Tamara Quinn
    Die Ahornsirupflasche kam auf dem Tablett ins Wanken. Kaum hatte sie sie daraufgestellt, kippte sie auch schon. Bei dem Versuch, sie aufzufangen, verlor sie ihrerseits das Gleichgewicht, das ganze Tablett stürzte mit Riesengetöse zu Boden und sie gleich mit.
    Harry beugte sich über die Theke. »Nola? Ist alles in Ordnung?«
    Leicht benommen rappelte sie sich auf. »Ja, ja, ich …«
    Sie betrachteten kurz das Ausmaß des Schadens, dann brachen sie in schallendes Gelächter aus.
    »Lachen Sie nicht, Harry«, tadelte Nola ihn milde. »Wenn Mrs Quinn erfährt, dass ich schon wieder ein Tablett habe fallen lassen, kriege ich gehörig eins auf den Deckel.«
    Er trat hinter die Theke und ging in die Hocke, um ihr beim Aufsammeln der Glasscherben zu helfen, die in einer Matschsoße aus Senf, Mayonnaise, Ketchup, Ahornsirup, Butter, Zucker und Salz lagen. »Kann mir jemand verdammt noch mal erklären, warum mir neuerdings alle hartnäckig sämtliche Gewürze auf einmal bringen, wenn ich etwas bestelle?«
    »Das ist wegen der Anweisung«, klärte Nola ihn auf.
    »Was für eine Anweisung?«
    Sie deutete mit dem Kinn auf das kleine Blatt, das hinter der Theke hing. Harry richtete sich auf, schnappte sich den Zettel und las ihn laut vor.
    »Nicht, Harry! Was machen Sie da? Sie sind verrückt! Wenn Mrs Quinn das mitkriegt …«
    »Keine Sorge, es ist niemand hier.«
    Es war halb acht Uhr morgens. Das Clark’s war noch leer.
    »Was soll dieser Zettel?«
    »Das ist die Anweisung von Mrs Quinn.«
    In diesem Augenblick kamen ein paar Gäste herein, und sie mussten ihr Gespräch unterbrechen. Sofort kehrte Harry an seinen Tisch zurück, und Nola ging eilig ihrer Arbeit nach.
    »Ich bringe Ihnen sofort neue Toasts, Mr Quebert«, verkündete sie förmlich, bevor sie in der Küche verschwand.
    Hinter der Schwingtür blieb sie kurz stehen und lächelte verträumt: Sie liebte ihn. Seit sie ihm vor zwei Wochen am Strand begegnet war, seit diesem wunderschönen Regentag, an dem sie zufällig in der Nähe von Goose Cove spazieren gegangen war, liebte sie ihn. Das wusste sie. Ihr Gefühl täuschte sie

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