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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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denke ich jeden Tag an ihn. Ich sehe doch, wie einsam er ist, dabei hätte ich ihn so gern glücklich gemacht. Und ich, sieh mich an, Marcus … Ich habe davon geträumt, ein Filmstar zu werden, und was ist aus mir geworden? Die Frittenkönigin … Ich habe nicht das Leben geführt, das ich wollte.«
    Ich spürte, dass sie nun bereit war, sich mir anzuvertrauen, deshalb bat ich sie: »Jenny, erzähl mir von Nola. Bitte …«
    Sie lächelte wehmütig. »Sie war ein sehr nettes Mädchen. Meine Mutter mochte sie besonders gern, sie hat über sie nur Gutes gesagt, und das hat mich genervt, denn vor Nola war ich in dieser Stadt die hübsche kleine Prinzessin, nach der sich alle umdrehten. Nola war neun, als sie hierherzog. Damals interessierte sich natürlich noch kein Mensch für sie. Und dann, eines Sommers, war aus der kleinen Nola, wie es bei pubertierenden Mädchen so oft passiert, eine hübsche junge Frau mit hinreißenden Beinen, üppigem Busen und Engelsgesicht geworden war. Die neue Nola hat im Badeanzug eine Menge Gelüste geweckt.«
    »Warst du eifersüchtig auf sie?«
    Sie dachte kurz nach, bevor sie antwortete: »Ach, heute kann ich es dir ja sagen, weil es keine Rolle mehr spielt: Ja, ich war ein bisschen eifersüchtig. Die Männer gafften ihr hinterher, und als Frau bemerkt man so was.«
    »Aber sie war doch erst fünfzehn …«
    »Sie sah aber nicht wie ein kleines Mädchen aus, glaub mir. Sie war eine Frau und noch dazu eine hübsche.«
    »Hast du etwas von der Sache mit ihr und Harry geahnt?«
    »Nicht das Geringste! Niemand hier hätte sich so etwas vorstellen können. Weder mit Harry noch mit sonst wem. Gut, sie war ein sehr hübsches Mädchen, aber sie war, wie du gerade gesagt hast, erst fünfzehn, das wussten ja alle. Außerdem war sie die Tochter von Reverend Kellergan.«
    »Also gab es zwischen euch keine Rivalitäten wegen Harry?«
    »Nein, um Gottes willen!«
    »Und zwischen Harry und dir – war da etwas?«
    »Kaum. Wir haben uns ein paarmal verabredet. Er kam bei den Frauen hier sehr gut an. Ich meine, ein großer Star aus New York, den es hierher in dieses Kaff verschlägt …!«
    »Jenny, ich muss dir eine Frage stellen, die dich vielleicht überraschen wird … Wusstest du, dass Harry ein Niemand war, als er nach Aurora kam? Er war nur ein kleiner Highschoollehrer, der seine ganzen Ersparnisse ausgegeben hatte, um das Haus in Goose Cove zu mieten.«
    »Wie bitte? Er war doch damals schon Schriftsteller …«
    »Er hatte einen Roman veröffentlicht, aber auf eigene Kosten und ohne Erfolg. Ich glaube, in Bezug auf seinen Bekanntheitsgrad gab es damals ein Missverständnis, und das hat er gründlich ausgereizt, um in Aurora der zu sein, der er in New York hätte sein wollen. Und als er dann das Buch Der Ursprung des Übels veröffentlicht hat, durch das er berühmt geworden ist, war die Illusion perfekt.«
    Das amüsierte Jenny offenbar: »Also, so was!«, lachte sie. »Das wusste ich nicht. Dieser verfluchte Harry … Ich erinnere mich noch an unser erstes Rendezvous. Ich war an dem Tag so aufgeregt. Das Datum weiß ich noch, weil es der Nationalfeiertag war, der 4. Juli 1975.«
    Rasch rechnete ich im Kopf nach: Der 4. Juli – das war ein paar Tage nach dem Ausflug nach Rockland, also nachdem Harry beschlossen hatte, sich Nola aus dem Kopf zu schlagen. Ich ermunterte Jenny, mit ihrem Bericht fortzufahren: »Erzähl mir vom 4. Juli.«
    Sie schloss die Augen, als wollte sie sich in Gedanken zurückversetzen. »Es war ein schöner Tag. Harry war ins Clark’s gekommen und hatte vorgeschlagen, sich abends zusammen das Feuerwerk in Concord anzusehen. Er hatte gesagt, dass er mich um achtzehn Uhr zu Hause abholen würde. Ich hatte zwar erst um halb sieben Feierabend, hatte ihm aber geantwortet, dass mir das sehr gut passe. Meine Mutter ließ mich bestimmt früher gehen, damit ich mich hübsch machen konnte.«

    Freitag, 4. Juli 1975
    Im Haus der Familie Quinn in der Norfolk Avenue herrschte große Hektik. Es war Viertel vor sechs, und Jenny war immer noch nicht fertig. Sie raste wie eine Furie in Unterwäsche die Treppe hinauf und hinab und hatte jedes Mal ein anderes Kleid in der Hand.
    »Und das hier, Mom? Was hältst du von dem hier?«, fragte sie, als sie zum siebten Mal zu ihrer Mutter ins Wohnzimmer eilte.
    »Nein, das nicht«, urteilte Tamara streng. »Das macht einen dicken Hintern. Harry Quebert soll doch nicht denken, dass du verfressen bist, oder? Probier ein anderes an!«
    Jenny

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