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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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nicht in Rockland gebeten, sie so zu nennen? Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
    »Und was machen Sie jetzt mit dieser Widmung?«, fragte ich.
    »Wir lassen ein grafologisches Gutachten erstellen in der Hoffnung, dass uns das irgendwie weiterbringt.«
    Ich war vollkommen durcheinander. Allerliebste Nola . War es ein Zufall, dass das exakt Harrys Worte waren, die Worte, die ich aufgenommen hatte?
    Den halben Abend grübelte ich vor mich hin, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Punkt einundzwanzig Uhr rief meine Mutter an. Offensichtlich hatte das Fernsehen über den Brand berichtet. »Um Himmels willen, Markie, willst du für diesen kriminellen Wüstling etwa dein Leben lassen?«
    »Beruhige dich, Mama.«
    »Hier reden alle nur noch über dich, und das nicht gerade in den höchsten Tönen, wenn du weißt, was ich meine. Die Leute im Viertel stellen sich Fragen … Sie fragen sich, warum du es dir in den Kopf gesetzt hast, zu diesem Harry zu halten.«
    »Ohne Harry wäre ich nie der ›große Goldman‹ geworden, Mama.«
    »Du hast recht: Ohne ihn wärst du der ›ganz große Goldman‹ geworden. Seit du dich auf dem College auf diesen Kerl eingelassen hast, hast du dich verändert. Du bist Der Fabelhafte , Markie! Weißt du noch? Die kleine Mrs Lang, die Kassiererin im Supermarkt, fragt mich immer noch: Wie geht es dem Fabelhaften ?«
    »Mama, den Fabelhaften hat es nie gegeben.«
    »Den Fabelhaften hat es nie gegeben?« Sie rief nach meinem Vater. »Nelson, komm mal her, na los! Markie sagt, den Fabelhaften hätte es nie gegeben.« Ich hörte meinen Vater im Hintergrund etwas Unverständliches murmeln. »Siehst du, dein Vater sagt auch: Auf der Highschool warst du Der Fabelhafte. Gestern habe ich deinen ehemaligen Schulleiter getroffen. Er hat gesagt, er hätte dich in bester Erinnerung … Ich dachte schon, er würde weinen, so gerührt war er. Und dann hat er gesagt: ›Also, Mrs Goldman, ich weiß nicht, auf was für einen Schlamassel sich Ihr Sohn da eingelassen hat.‹ Da siehst du, wie traurig das alles ist: Selbst dein ehemaliger Schulleiter stellt sich Fragen. Und was ist eigentlich mit uns? Warum eilst du einem alten Professor zu Hilfe, anstatt dir eine Frau zu suchen? Du bist jetzt dreißig und noch nicht verheiratet! Sollen wir sterben, ohne deine Hochzeit zu erleben?«
    »Du bist jetzt zweiundfünfzig, Mama. Ein bisschen Zeit haben wir schon noch.«
    »Lass diese Haarspaltereien! Bist du jetzt auch noch unter die Haarspalter gegangen, sag? Noch so etwas, was du von diesem verfluchten Quebert hast! Warum siehst du nicht lieber zu, dass du uns eine hübsche junge Frau nach Hause bringst? Na? Sag schon! Antwortest du mir nicht mehr?«
    »Ich habe in letzter Zeit keine kennengelernt, die mir gefallen hat, Mama. Neben meinem Buch, der Tournee und dem nächsten Buch bleibt mir …«
    »Lauter Ausreden, sonst nichts! Das nächste Buch? Was wird das für ein Buch? Perverse Sexgeschichten? Ich erkenne dich nicht wieder, Markie … Markie, Schatz, hör zu, ich muss dich das fragen: Bist du in diesen Harry verliebt?«
    »Nein! Natürlich nicht!«
    Ich hörte sie zu meinem Vater sagen: »Er sagt Nein, was so viel heißt wie Ja.« Dann fragte sie mich im Flüsterton: »Hast du diese Krankheit? Deine Mama liebt dich auch, wenn du krank bist.«
    »Was? Welche Krankheit?«
    »Die Männer kriegen, wenn sie allergisch auf Frauen sind.«
    »Du fragst mich, ob ich homosexuell bin? Nein! Und selbst wenn ich es wäre, daran wäre nichts Schlimmes. Aber ich liebe Frauen, Mama.«
    »Frauen? Was soll das heißen, Frauen ? Gib dich damit zufrieden, eine zu lieben und zu heiraten, verstanden? Frauen! Du kannst nicht treu sein – ist es das, was du mir sagen willst? Bist du sexsüchtig, Markie? Willst du vielleicht zu einem Psychiater gehen und eine Therapie machen?«
    Genervt legte ich irgendwann auf. Ich fühlte mich sehr einsam. Also setzte ich mich in Harrys Arbeitszimmer, schaltete mein Aufnahmegerät ein und hörte mir noch einmal seine Stimme an. Ich brauchte einen neuen Anhaltspunkt, einen handfesten Beweis, der die Ermittlungen in eine andere Richtung lenkte, etwas, das Licht in dieses stumpfsinnige Puzzle brachte, das ich zu lösen versuchte und das bislang nur aus Harry, einem Manuskript und einem toten Mädchen bestand. Während ich nachdachte, ergriff ein Gefühl von mir Besitz, das ich seit Langem nicht mehr verspürt hatte: Ich hatte Lust, zu schreiben, aufzuschreiben, was ich erlebte und fühlte. In

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