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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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jedes Mal die Polizei rief, wenn ich wieder einen dieser Briefe vorgefunden hatte. Ich behauptete, dass sich jemand am Haus herumtrieb, und dann schickten sie einen Streifenwagen, und das beruhigte mich. Natürlich konnte ich der Polizei den wahren Grund für meine Unruhe nicht sagen.«
    »Wer hätte Ihnen diese Briefe schicken können?«, forschte Roth. »Wer wusste von Ihnen und Nola?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Das ging sechs Monate so, dann war plötzlich Schluss.«
    »Haben Sie die Briefe aufgehoben?«
    »Ja, zu Hause. In meinem Arbeitszimmer, zwischen den Seiten eines dicken Lexikons. Ich nehme an, dass die Polizei sie nicht gefunden hat, weil mich niemand darauf angesprochen hat.«
    Zurück in Goose Cove, nahm ich mir sofort das Lexikon vor, von dem er gesprochen hatte. Zwischen den Seiten stieß ich auf einen dicken braunen Umschlag mit einem knappen Dutzend kleiner Zettel darin. Vergilbte Briefe. Auf jedem stand dieselbe mit Schreibmaschine getippte Botschaft:
    Ich weiß, was Sie dem fünfzehnjährigen Mädchen angetan haben. Und bald weiß es die ganze Stadt.
    Jemand wusste also über Harry und Nola Bescheid. Jemand, der dreiunddreißig Jahre lang geschwiegen hatte.

    In den kommenden zwei Tagen bemühte ich mich, sämtliche Personen zu befragen, die Nola auf die eine oder andere Weise gekannt hatten. Bei diesem Vorhaben war mir Erne Pinkas erneut eine wertvolle Hilfe: Er hatte im Archiv der Bibliothek das Jahrbuch der Highschool von Aurora aus dem Jahr 1975 ausgegraben und mir mithilfe von Telefonbuch und Internet eine Liste mit den aktuellen Kontaktdaten von einem Großteil der ehemaligen Klassenkameraden erstellt, die noch immer in der Gegend wohnten. Leider brachte mich das jedoch nicht viel weiter: All diese Leute waren inzwischen um die fünfzig, aber sie hatten mir außer Kindheitserinnerungen nichts zu berichten, und diese waren für den Fortgang der Ermittlungen nicht weiter von Interesse. Doch plötzlich ging mir auf, dass mir einer der Namen auf der Liste bekannt vorkam, und zwar der von Nancy Hattaway. Sie hatte Nola laut Harry bei ihrem Ausflug nach Rockland als Alibi gedient.
    Den von Pinkas gelieferten Informationen zufolge besaß Nancy Hattaway ein Geschäft für Kurzwaren- und Patchworkbedarf in einem etwas außerhalb der Stadt an der Route 1 Richtung Massachusetts gelegenen Gewerbegebiet. Dorthin fuhr ich am 26. Juni 2008. Der hübsche Laden mit dem farbenfrohen Schaufenster war zwischen eine Snack-Bar und eine Eisenwarenhandlung gezwängt. Im Innern saß eine einzige Dame, Anfang fünfzig mit leicht ergrauter Kurzhaarfrisur mit einer Lesebrille auf der Nase am Schreibtisch. Nachdem sie mich höflich begrüßt hatte, fragte ich: »Sind Sie Nancy Hattaway?«
    »Ja, die bin ich«, erwiderte sie und erhob sich. »Kennen wir uns? Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor.«
    »Ich heiße Marcus Goldman. Ich bin –«
    »Schriftsteller«, fiel sie mir ins Wort. »Jetzt fällt es mir wieder ein. Man erzählt sich, dass Sie viele Fragen über Nola stellen.« Sie schien auf der Hut zu sein und schickte sofort hinterher: »Ich nehme an, Sie sind nicht wegen eines Quilts hier?«
    »Das ist richtig. Und es stimmt auch, dass ich mich für den Tod von Nola Kellergan interessiere.«
    »Und was habe ich damit zu tun?«
    »Wenn Sie die sind, für die ich Sie halte, kannten Sie Nola sehr gut, als Sie beide fünfzehn waren.«
    »Wer sagt das?«
    »Harry Quebert.«
    Mit resolutem Schritt ging sie zur Tür. Ich dachte schon, sie wollte mich zum Gehen auffordern, doch stattdessen hängte sie das Schild mit der Aufschrift Geschlossen an die Scheibe und schob den Riegel vor. Dann drehte sie sich zu mir um und fragte: »Wie trinken Sie Ihren Kaffee, Mr Goldman?«
    Wir unterhielten uns eine Stunde in ihrem Hinterzimmer. Sie war tatsächlich die Nancy, von der Harry mir erzählt hatte: Nolas damalige Freundin. Sie hatte nie geheiratet und ihren Mädchennamen behalten.
    »Haben Sie Aurora nie verlassen?«, fragte ich.
    »Nein, nie. Ich hänge viel zu sehr an dieser Stadt. Wie haben Sie mich gefunden?«
    »Übers Internet, glaube ich. Das Internet vollbringt Wunder.«
    Sie nickte. »Also?«, fragte sie. »Was genau wollen Sie wissen, Mr Goldman?«
    »Bitte nennen Sie mich Marcus. Ich brauche jemanden, der mir etwas über Nola erzählt.«
    Sie lächelte. »Nola und ich gingen damals in dieselbe Klasse. Wir hatten uns gleich nach ihrer Ankunft in Aurora angefreundet. Wir wohnten praktisch nebeneinander in der

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