Die Wahrheit
hatte.
»Sollen wir schwimmen gehen?« sagte sie. »Um uns abzukühlen?«
»Ich habe kein Badezeug.«
»Meine Sachen sind naß genug.«
Fiske zog sie ins Boot hinauf, ging dann zum Motor und ließ ihn an, zerstörte die Stille. »Na schön.«
»Warum schwimmen wir nicht hier?«
»Die Strömung ist zu stark.«
Er zog das Boot herum und fuhr zur Anlegestelle zurück. Nach drei Vierteln der Strecke änderte er wieder den Kurs und hielt auf das Ufer zu, das an dieser Stelle sanft abfiel. Als sie näher kamen, konnte Sara Zweihundert-Liter-Fässer sehen, die jeweils ungefähr sechs Meter voneinander entfernt im Wasser trieben. Als sie weiter darauf zuhielten, erkannte Sara, daß die Fässer von einem weitmaschigen Netz zusammengehalten wurden, das eine große, viereckige Fläche umschloß.
In der Nähe einer der Trommeln stellte Fiske den Motor ab, so daß das Boot vom eigenen Schwung weitergetragen wurde, bis er die Hand ausstrecken und den großen Behälter berühren konnte. Dann befestigte er ein Tau an einem Haken, der ans Faß geschraubt war, und warf einen kleinen provisorischen Anker - einen mit Beton gefüllten Fünf-Liter-Farbtopf - über die Seite, um das Boot zusätzlich zu sichern.
»Innerhalb des Netzes ist das Wasser höchstens zweieinhalb Meter tief. Das Netz umschließt den gesamten Bereich und ist auf dem Grund verankert. Also werden Sie nicht im Atlantik landen, falls die Strömung Sie erfassen sollte.«
Als Sara sich anschickte, ihr Kleid auszuziehen, drehte Fiske sich rasch um.
Sie lächelte. »Warum so prüde, John? In meinem Bikini zeige ich mehr als das.« In Höschen und BH sprang sie über die Bootsseite, kam einen Augenblick später wieder an die Oberfläche und trat Wasser.
»Wenn es Ihnen zu peinlich ist«, rief sie, »drehe ich Ihnen den Rücken zu.«
»Ich glaube, ich verzichte. Viel Spaß.«
»Ach, kommen Sie schon, ich beiße nicht.«
»Ich bin ein bißchen zu alt fürs Nacktbaden, Sara.«
»Das Wasser ist wundervoll.«
»Sieht ganz so aus.« Er machte noch immer keine Anstalten, sich zu ihr zu gesellen.
Mit enttäuschter Miene drehte sie sich schließlich um und schwamm vom Boot weg, durchpflügte mit kräftigen Armzügen die glatte Wasseroberfläche.
Während Fiske sie beobachtete, fuhr er geistesabwesend mit einem Finger über seine Narbe, berührte die beiden kreisrunden Höcker aus verbrannter Haut, wo die Kugeln in seinen Körper eingedrungen waren. Abrupt nahm er die Hand wieder weg und setzte sich.
Der Name >Harms< ging ihm nicht aus dem Kopf. Eine in forma pauperis eingereichte Petition - falls es sich bei dem handschriftlichen Dokument um eine solche handelte - stammte wahrscheinlich von einem Häftling. Fiske verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl und schaute erneut zu Sara hinüber. Im Mondlicht konnte er sie kaum ausmachen; sie trieb gemächlich an einer flachen Stelle. Ob sie zu ihm hinüberschaute oder nicht, konnte er nicht sagen.
Er blickte wieder auf den Fluß hinaus, und die Erinnerung überwältigte ihn. Ein lautes Spritzen im Wasser; die beiden jungen Männer schwammen, was sie konnten; der eine gewann ein bißchen Vorsprung, dann der andere. Manchmal siegte Mike, dann wieder John. Dann schwammen sie vom anderen Ufer zurück. Tag für Tag. Sie wurden zusehends brauner, schlanker, kräftiger. Was hatte das Leben damals Spaß gemacht! Keine wirklichen Sorgen, keine Probleme. Schwimmen, die Wälder erkunden, mittags Sandwiches mit Mortadella und Majo, abends Spieße mit Hot Dogs, so dicht über den Kohlen gebraten, daß die Wurstpelle aufplatzte. Verdammt noch mal, was hatten sie Spaß gehabt! Fiske wandte den Blick vorn Wasser ab, zwang sich zum konzentrierten Nachdenken.
Falls Harms tatsächlich ein Häftling war, würde es kein Problem sein, ihn zu finden. Als ehemaliger Polizeibeamter wußte Fiske, daß in den USA keine Bevölkerungsgruppe besser überwacht wurde als die fast zwei Millionen Strafgefangenen. Die Behörden mochten nicht wissen, wo sich all die Kinder oder Obdachlosen des Landes befanden, doch über sämtliche Knackis führten sie peinlich genau Buch. Und die meisten Informationen befanden sich mittlerweile in ComputerDatenbänken. Fiske schaute wieder auf den Fluß und sah, daß Sara zurück zum Boot geschwommen kam. Allerdings bemerkte er nicht das Glühen der brennenden Zigarette einer Person, die am Ufer saß und sie beobachtete.
Ein paar Minuten später half Fiske Sara ins Boot zurück. Schwer atmend setzte sie sich auf den
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