Die Wahrheit
dem toten Bruder?
Sara setzte sich auf die Treppe des Wohnwagens, und Fiske ging hinein. Kurz darauf kam er mit Eis und einer Rolle Haushaltstücher zurück. Während Sara das in ein Papiertuch gehüllte Eis gegen die Prellung auf ihrem Schenkel drückte, wischte sie mit einem der Würfel und einem weiteren Tuch das Blut von Fiskes Gesicht und säuberte den Riß an seiner Lippe. Als sie fertig war, stand er auf, stieg die Treppe hinunter und ging wortlos die unbefestigte Straße entlang.
»Wohin gehen Sie?« fragte Sara.
»Meinen Vater holen«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
Sie schaute ihm nach, bis er im Wald verschwunden war. Dann humpelte sie in den Wohnwagen und machte sich in dem kleinen Bad ein wenig zurecht. Sie sah Fiskes Anzug und seine Schuhe und brachte sie zu ihrem Wagen. Gedankenverloren fuhr sie mit der Hand über die glatte Metalloberfläche der Fahnenstange und fragte sich, ob Ed es heute zustande brachte, das Sternenbanner zu hissen. Vielleicht auf halbmast, zum Andenken an seinen Sohn. Oder in der Trauer um beide Söhne?
Bei diesem Gedanken begann sie unwillkürlich zu zittern. Sie trat vom Flaggenmast zurück und lehnte sich an ihren Wagen.
Nervös schaute sie zum Wald hinüber, als könnten jeden Augenblick entsetzliche Wesen zwischen den Bäumen hervorbrechen.
Eine ältere Frau kam aus dem benachbarten Wohnwagen und blieb stehen, als sie Sara erblickte.
Sara lächelte verlegen. »Ich ... äh ... bin eine Freundin von John Fiske.«
Die Frau nickte. »Na, dann guten Morgen.«
»Danke, ebenso.«
Die Frau ging die Straße entlang, die zu dem Häuschen am Eingang des Campingplatzes führte.
Sara schaute ängstlich zum Wald zurück und ballte die Hände zu Fäusten. »Nun komm schon, John. Bitte komm.«
Fünfzehn Minuten später kam der Golfwagen in Sicht. Fiske fuhr. Sein Vater lag zusammengesunken hinter ihm; offensichtlich schlief er.
Fiske hielt vor dem Wohnwagen, stieg aus, hob vorsichtig seinen Vater hoch und legte ihn sich über die Schulter. Er stieg die Treppe hinauf und verschwand im Innern. Ein paar Minuten später kam er mit dem Gewehr in der Hand wieder heraus.
»Er schläft«, sagte er.
»Was wollen Sie damit?« Sara zeigte auf die Waffe.
»Die lasse ich ihm nicht hier.«
»Sie glauben doch nicht etwa, daß er jemanden erschießt?«
»Nein, aber ich will nicht, daß er sich den Lauf in den Mund steckt und abdrückt. Waffen, Alkohol und schlechte Nachrichten vertragen sich nicht gut.« Er legte das Gewehr auf den Rücksitz des Wagens. »Lassen Sie mich lieber fahren.«
»Ihre Sachen sind im Kofferraum.«
Sie stiegen ins Auto und erreichten kurz darauf das Haus des Besitzers der Anlage. Fiske ging hinein, bezahlte die vier Dollar Besuchergebühr und kaufte ein wenig Gebäck und ein paar Tüten Orangensaft.
Die Frau, die Sara einen guten Morgen gewünscht hatte, war
ebenfalls dort. »Ich habe Ihre Freundin gesehen, John. Ein süßes Mädchen.«
»Hm.«
»Sie fahren schon wieder?«
»Ja.«
»Ich wette, Ihr Daddy wünscht sich, daß Sie länger bleiben.« Fiske bezahlte die Lebensmittel und wartete nicht auf eine Tüte. »Die Wette nehme ich an«, sagte er zu der verwirrten Frau. Dann ging er zum Wagen zurück.
KAPITEL 32
Nachdem Samuel Rider einige Tage geschäftlich verreist gewesen war, traf er ziemlich früh am Morgen in seinem Büro ein. Sheila war noch nicht da, was Rider nur recht war, denn er wollte allein sein. Er griff nach dem Telefon, rief in Fort Jackson an, gab sich als Harms’ Anwalt aus und bat, mit ihm sprechen zu dürfen.
»Er ist nicht mehr hier.«
»Wie bitte? Er sitzt eine lebenslängliche Haftstrafe ab. Wo könnte er da anders sein als bei Ihnen?«
»Es tut mir leid, aber diese Auskunft darf ich Ihnen nicht telefonisch erteilen. Wenn Sie persönlich herkommen möchten oder eine schriftliche Anfrage einreichen .«
Rider knallte den Hörer auf die Gabel und sank im Sessel zurück. War Rufus tot? Hatten sie irgendwie herausgefunden, was er vorhatte? Nachdem Rider den Antrag beim Obersten Gerichtshof eingereicht hatte, hätte man Rufus unter strengste Bewachung stellen müssen.
Rider krampfte die Finger um die Schreibtischkante. Falls der Antrag beim Gericht eingegangen war. Er riß die Schreibtischschublade auf und zog den weißen Einlieferungsabschnitt der Post hervor. Die grüne Empfangsbestätigung müßte mittlerweile bei ihm im Büro eingetroffen sein. Sheila! Er sprang auf, stürmte in Sheilas Vorzimmer. Normalerweise legte sie
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