Die Wahrheit
»Eigentlich nicht. Normalerweise wäre er auf dem Nachhauseweg von der Second nach links auf die E Street abgebogen. Bis zum Park hätte er gar nicht gemußt.«
»Hatte er einen Hund? Vielleicht ist er zuerst nach Hause und dann mit dem Hund Gassi gegangen.«
»Wright hatte einen Hund, aber er ist gar nicht bis nach Hause gekommen. Jedenfalls nehmen wir das an. Und wäre er noch mit dem Hund rausgegangen, wäre der Marion Park für ihn viel näher gewesen.«
»Das ist seltsam.«
Chandler kniff die Augen zusammen, als käme ihm ein plötzlicher Gedanke. »Aber am Marion Park gibt es etwas, das man am Garfield Park nicht findet.«
»Und das wäre?«
»Eine Polizeiwache direkt auf der anderen Straßenseite.«
»Wrights Mörder wußte das vielleicht.«
»Wir machen aus der Wache nicht gerade ein großes Geheimnis. Wir wollen dort Präsenz zeigen, zur Abschreckung.«
»Sieht es so aus, als wäre Wright im Park ermordet worden? Oder woanders, und man hat ihn dort nur abgeladen?«
»Das Gras wies Blutflecke auf. Es gab keine Patronenhülsen - jedenfalls haben wir noch keine gefunden. Der Schütze wird wahrscheinlich einen Schalldämpfer benutzt haben, falls es sich nicht tatsächlich um einen zufälligen Raubmord handelt. Ein Schalldämpfer auf einem Revolver ist zu kompliziert, also müßte der Täter eine Halbautomatik benutzt haben. Dann aber müßten wir eine Patronenhülse finden - es sei denn, er hat sie aufgehoben und mitgenommen.«
»Steckte die Kugel noch in Wrights Kopf?«
Chandler nickte. »Hoffentlich bekommen wir eine Waffe in die Hand, um einen Vergleich vornehmen zu können.«
»Nach den Vorfällen in Mikes Wohnung hätten Sie besser eine Wache vor Wrights Tür stellen sollen.«
»Herrje, jetzt, wo Sie es sagen . warum habe ich nicht daran gedacht?«
»Entschuldigung. Haben Sie eine Ahnung, wann Wright das Gericht gestern abend verlassen hat?«
»Das überprüfen wir noch. Nach Dienstschluß kann man das Gebäude nur durch einen Eingang betreten oder verlassen. Diese Tür wird ständig bewacht und bleibt bis zwei Uhr morgens offen. Danach muß man sich von einem Wachmann aufschließen lassen. Man kann das Gericht auch durch die Tiefgarage verlassen, aber die wird ebenfalls bewacht. Außerdem konnte Wright nicht fahren, also ist die Tiefgarage irrelevant.«
»Dann muß doch jemand mitbekommen haben, wann er gegangen ist.«
»Meine Leute fragen bei dem Personal nach, das gestern abend Dienst hatte.«
»Gibt es im Gericht Überwachungskameras?«
»Sie meinen, im Gerichtssaal?« fragte Chandler lächelnd. »Die Antwort lautet ja, aber nicht überall, und leider nicht in diesem Teil des Ganges. Aber wir überprüfen die Videobänder trotzdem. Vielleicht entdecken wir ja etwas Wichtiges darauf.« Chandler warf noch einen Blick auf seine Notizen. »Zu dieser Nachtzeit dürften sich hier auf dieser Etage nur noch Mitarbeiter befunden haben, die Überstunden machten.«
»Hat die Überprüfung von Wrights Vergangenheit etwas ergeben?«
Chandler schüttelte den Kopf. »Bislang haben wir keine Leichen im Keller gefunden. Das Motiv wird uns noch gewaltiges
Kopfzerbrechen bereiten.«
»Aber seine Brieftasche fehlte.«
»Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Aber das wäre etwas zu einfach.«
»Als wolle jemand uns glauben machen, die beiden Morde stünden im Zusammenhang?«
»Wissen Sie, es könnte tatsächlich ein Irrer sein, der stinksauer auf dieses Gericht ist.«
»Ich glaube, die Morde haben etwas miteinander zu tun, aber nicht aus den Gründen, die alle anderen vermuten«, sagte Fiske.
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn Mike aus irgendeinem Grund getötet wurde, den wir nicht herausfinden sollen, bietet es sich doch geradezu an, einen weiteren Assessor zu töten und die Sache so zu biegen, als würden die beiden Fälle miteinander zu tun haben.«
Chandler blickte gespannt drein. »Und aus welchem Grund hat man Ihren Bruder nun wirklich getötet und versucht, den Mord zu vertuschen?«
Fiske zögerte. Es wurde allmählich ziemlich schwierig, zu verheimlichen, daß Mike den Berufungsantrag gestohlen hatte. »Das weiß ich nicht, aber ich könnte mir denken, weshalb Wright getötet wurde.«
»Nicht nur, um eine falsche Spur zu legen?«
»Sagen wir, er wurde vielleicht aus mehreren Gründen ermordet.«
In diesem Augenblick gesellte Sara sich zu ihnen. Sie versuchte, ihre Aufregung zu verbergen, doch es gelang ihr nicht ganz.
»John, könnte ich Sie kurz sprechen?«
»Miss Evans«, sagte
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