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Die Wahrheit

Die Wahrheit

Titel: Die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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nicht mehr ganz so sicher und schön, aber welche war das überhaupt noch, dachte er.
    Wenn er sich vor vielen Jahren nach der Arbeit entspannen wollte, hatte er mit seinen Kindern Basketball gespielt. Damals hing ein Netz über dem Garagentor. Irgendwann war das Gestell morsch geworden, und er hatte es abgebaut. Statt dessen ging er nun auf den kleinen Hof und setzte sich dort auf eine verblaßte graue Zedernholzbank, die neben einer ausladenden Magnolie und vor einem kleinen Springbrunnen stand. Seine Frau hatte ihm wegen dieses Brunnens lange in den Ohren gelegen, und er hatte die ganze Zeit über gemeckert und sich gesträubt. Erst nachdem er den Brunnen angelegt hatte, war ihm klar geworden, wieso sie so beharrlich geblieben war. Das Anlegen des Brunnens hatte eine geradezu kathartische Wirkung auf ihn gehabt: das Planen, das Ausmessen, die Auswahl des Materials. Es war fast wie Detektivarbeit gewesen; man stand vor einem Puzzle, und wenn man einen Blick für die einzelnen Teile und überdies noch Glück hatte, paßten alle zusammen.
    Nachdem er sich zehn Minuten lang ausgeruht hatte, erhob er sich und ging, den Mantel über die Schulter geworfen, ins Haus. Er sah sich in der stillen, dunklen Küche um. Sie war hübsch eingerichtet, wie das ganze Haus, was einzig den Bemühungen seiner Frau Juanita zu verdanken war. Die Kinder großgezogen, mit ihnen zum Arzt gegangen, die Rechnungen bezahlt, die Blumen gepflegt, den Rasen gemäht und das Unkraut gejätet, die Betten gemacht, gewaschen und gebügelt, gekocht, den Abwasch erledigt - das alles hatte sie getan, während er sich auf dem Weg nach oben abgestrampelt hatte. Das war ihre Partnerschaft gewesen. Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, war sie wieder zur Schule gegangen, Krankenschwester geworden und arbeitete nun in einem hiesigen Krankenhaus in der pädiatrischen Abteilung. Sie waren mittlerweile dreiunddreißig Jahre verheiratet, und mit ihnen ging es noch immer gut.
    Chandler hatte keine Ahnung, wie lange er noch als Detective arbeiten konnte. Es ging ihm allmählich an die Substanz. Der Gestank der Leichen, das Gefühl der Gummihandschuhe an den Händen, die winzigen, vorsichtigen Schritte, weil man befürchten mußte, ein Beweisstück zu zertrampeln, was dazu führen konnte, daß ein weiterer Mensch starb oder ein Schlächter nicht gefaßt wurde. Der Papierkram, die aalglatten Strafverteidiger, die immer wieder dieselben Fragen stellten, dieselben verbalen Fallstricke auslegten, die gelangweilten Richter, welche die Richtlinien für das anzuwendende Strafmaß vorlasen, als handele es sich um ein Testergebnis von Kaffeemaschinen. Die ausdruckslosen Blicke der Angeklagten, die nichts sagten, keine Gefühlsregung zeigten und zu all ihren Kumpeln ins Gefängnis gingen, ihre höhere Lehranstalt, und als noch viel fähigere Verbrecher wieder herauskamen.
    Das Klingeln des Telefons unterbrach diese deprimierenden Gedanken.
    »Hallo?« Er hörte ein paar Minuten lang zu, gab einige Anweisungen und legte wieder auf. In der Seitenstraße, in der Michael Fiskes Leiche gefunden worden war, hatte man eine Kugel entdeckt. Offensichtlich war sie von einer Wand abgeprallt und in eine Mülltüte eingedrungen, die hinter einen Mülleimer gefallen war. Das Projektil war angeblich in gutem Zustand und hatte sich kaum verformt. Das Labor mußte noch bestätigen, daß es sich tatsächlich um die Kugel handelte, die den jungen Assessor getötet hatte. Das ließ sich aus einem entsetzlichen Grund ziemlich einfach feststellen: An der Kugel mußten noch Rückstände von Blut, Knochen und Gehirnmasse kleben, die man ziemlich eindeutig Michael Fiskes Kopf zuweisen konnte. Da sie nun eine Kugel hatten, konnten sie sich an die Suche nach der Mordwaffe machen. Die Ballistiker konnten die Kugel der Waffe, aus der sie abgefeuert worden war, mit einer Zuverlässigkeit zuordnen, die der Bestimmung menschlicher Fingerabdrücke gleichkam.
    Chandler stand auf und ging ins Wohnzimmer. Seine Waffe ließ er absichtlich in der Küche zurück. Er nahm in einem Lehnsessel Platz, einem extra großen Modell, das seine wuchtige Gestalt auch aufnehmen konnte. Der Raum war dunkel, und er machte keine Anstalten, eine Lampe einzuschalten. Bei der Arbeit hatte er viel zuviel Licht. In seinem Büro schlug jeden Tag Licht auf ihn ein. Eine noch grellere Beleuchtung im Autopsieraum, die jedes Stück Fleisch riesig aussehen ließ, bedrohlich roh und so einprägsam, daß sogar Chandler sich gelegentlich

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