Die Wahrheit
dem einen ging er die Strategie für den bevorstehenden Prozeß durch. Sein einsitzender Mandant bot Fiske an, in den Zeugenstand zu treten und zu lügen. Tut mir leid, das werden Sie nicht tun, sagte Fiske zu ihm. Mit dem anderen sprach er über den allgegenwärtigen Kuhhandel. Monate, Jahre, Jahrzehnte. Wie lange muß ich sitzen? Bekomme ich eine Chance auf bedingten Straferlaß? Eine Bewährungsstrafe? Helfen Sie mir hier raus, Mann, ich habe Frau und Kinder. Ich muß mich um mein Geschäft kümmern. Ja, klar. Was ist im Vergleich dazu schon ein bißchen Mord und Totschlag?
Beim letzten Mandanten nahmen die Dinge einen ganz anderen Lauf. »Es sieht nicht gut für uns aus, Leon. Wir sollten einen Handel abschließen«, riet Fiske ihm.
»Nein. Wir gehen vor Gericht.«
»Sie haben zwei Augenzeugen.«
»Ach ja?«
Leon wurde beschuldigt, ein Kind erschossen zu haben. Es war ein Streit zwischen zwei Skinhead-Banden gewesen, und das kleine Mädchen war zwischen die Fronten geraten - eine dieser Tragödien von heutzutage. »Na ja, die können mir nichts anhaben, wenn sie nicht aussagen, oder?«
»Warum sollten sie denn nicht aussagen?« fragte Fiske ruhig. Das hatte er schon häufiger erlebt. Wie oft waren ihm als Cop Fälle zwischen den Fingern zerronnen, weil die Zeugen vergessen hatten, was sie gesehen und woran sie sich zuvor noch so deutlich erinnert hatten?
Leon zuckte mit den Achseln. »So was kommt schon mal vor. Die Leute halten ihre Vorladungen einfach nicht ein.«
»Die Polizei hat ihre Aussagen aufgenommen.«
Leon warf ihm einen scharfen Blick zu. »Ja, aber die Leute, die gegen mich aussagen, müssen schon persönlich kommen, oder? Damit Sie sie im Zeugenstand auseinandernehmen können, nicht wahr?« »Sie kennen sich aber gut mit Ihren verfassungsmäßigen Rechten aus«, sagte Fiske trocken und atmete tief ein. Er hatte das Spielchen mit der Zeugenbeeinflussung so unendlich satt. »Kommen Sie schon, Leon, raus damit - ich bin Ihr Anwalt, das fällt unter die Schweigepflicht. Warum werden diese Leute nicht gegen Sie aussagen?«
Leon lächelte schwach. »Das brauchen Sie nicht zu wissen.«
»Doch, muß ich. Ich kann keine Überraschungen gebrauchen. Man weiß nie, was der Staatsanwalt vorhat. Glauben Sie mir, ich habe das schon oft erlebt. Wenn da irgend etwas läuft, und ich bin nicht darauf vorbereitet, könnte Ihr Arsch den Bach runtergehen.«
Plötzlich schaute Leon ein wenig besorgt drein. Daran hatte er offensichtlich gar nicht gedacht. Er rieb an dem Hakenkreuz auf seinem Arm. »Schweigepflicht, was? Das haben Sie doch gesagt?«
»Genau.« Fiske beugte sich vor. »Es bleibt unter uns und Gott.«
Leon lachte. »Gott? Scheiße, das ist gut.« Er rutschte ein Stück vor. »Ich hab’ da ein paar Freunde«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Die werden diesen Zeugen ’nen kleinen Besuch ab statten. Dafür sorgen, daß sie vergessen, wie man zum Gericht kommt. Ist schon alles vorbereitet.«
Fiske prallte zurück. »Verflixt noch mal, wie konnten Sie das tun?« rief er theatralisch aus.
»Was?«
»Mir die eine verdammte Sache verraten, wegen der ich zum Richter gehen muß.«
»Wovon sprechen Sie, zum Teufel?«
»Ich bin gesetzlich - und moralisch - verpflichtet, keine Information zu enthüllen, die ein Mandant mir gegeben hat.«
»Wo liegt dann das Problem? Ich bin Ihr Mandant und habe Ihnen gerade eine verdammte Information gegeben.«
»Richtig, aber bei dieser Bestimmung gibt es eine wichtige Ausnahme. Sie haben mir gerade von einem Verbrechen erzählt, das Sie beabsichtigen. Und genau das muß ich dem Gericht mitteilen. Ich darf nicht zulassen, daß Sie dieses Verbrechen begehen. Ich muß Ihnen raten - tun Sie es nicht. Diesen Rat habe ich Ihnen hiermit erteilt. Hätten Sie das Verbrechen schon begangen, hätten wir nicht die geringsten Schwierigkeiten. Verflucht, was haben Sie sich nur dabei gedacht! Können Sie mir das sagen?« Fiske schaute empört drein.
»Ich hab’ doch nicht gewußt, daß es so ’ne Bestimmung gibt. Scheiße, ich bin doch kein verdammter Rechtsanwalt.«
»Jetzt hören Sie aber auf, Leon, Sie kennen das Gesetz besser als die meisten Anwälte. Aber jetzt haben Sie tatsächlich alles verpfuscht. Jetzt müssen wir den Handel abschließen.«
»Verdammt noch mal, was soll das heißen?«
»Wenn wir vor Gericht gehen, und die Zeugen erscheinen nicht, muß ich dem Gericht mitteilen, was Sie mir gerade erzählt haben. Und wenn die Zeugen kommen, sind Sie
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